Der anonyme Fotograf


Josef Koudelka hat den "Prager Frühling" dokumentiert


Ein Film von Peter Heller
Deutschland 2008  15 Minuten
Dokumentation  DVCAM
Kamera: Hans Albrecht Lusznat
Ton: Gregor Kuschel
Produktion:  Filmkraft GmbH
Erstsendung: 3SAT Kulturzeit  13. August 2008   19.20  Uhr   

Im August 1968 rollen Panzer durch die Straßen von Prag. Das tschechische Volk protestiert gegen die russische Besatzung - bis der Aufstand gewaltsam am 21. August niedergeschlagen wird. Es ist das Ende des Prager Frühlings. Der Fotograf Josef Koudelka ist mitten unter den Demonstranten, dokumentiert die Ereignisse aus seiner Sicht, gibt den Protesten ein individuelles Gesicht. 1969 werden seine Fotografien heimlich über die Grenze gebracht und von internationalen Magazinen veröffentlicht. 1970 verlässt Koudelka die Tschechoslowakei.

"Ich bin einen Tag vor der russischen Invasion aus Rumänien zurückgekehrt, wo ich einen Monat war und Zigeuner fotografiert habe", erinnert sich Koudelka. "In der Nacht vom 20. auf den 21. August weckte mich meine Freundin Marie Lakatosova: "Josef, die Russen sind da", sagte sie. "Sie musste mich zweimal anrufen, weil ich aufgelegt hatte. Ich wollte es nicht glauben - und sie sagte: "Du Spinner, mach das Fenster auf und hör raus." "Ich hörte Flugzeuge in regelmäßigen Intervallen, da war mir klar, dass da etwas passiert. Ich nahm also meine Fotoapparate und rannte raus."
Wie ein Besessener

Für Koudelka war das Fotografieren, als wenn ihn in Fieber gepackt hätte. "Es war fantastisch! Wohin man auch immer den Fotoapparat richtete, da geschah etwas. Es war eine unglaubliche Gelegenheit zu fotografieren." Josef Koudelka fotografiert wie ein Besessener: fast 10.000 Bilder in den ersten sieben Tagen der Invasion. Sie werden außer Landes gebracht und die Fotoagentur "Magnum" macht sie weltweit bekannt. Die berühmtesten werden zu Ikonen des Widerstands der tschechischen Bevölkerung. Der Name des Fotografen darf jedoch nicht genannt werden - das hätte ihn und seine Familie gefährdet, und so bleibt er als "Prague Photographer" anonym. "Mich interessierte es, zu fotografieren und plötzlich geschah etwas, das wichtig war, fotografiert zu werden", so Koudelka. "Es war mein Land, es waren meine Probleme und es war etwas außerordentlich Wichtiges, so dass sich der Großteil von uns in dieser Situation vollkommen anders verhalten hat als gewöhnlich."

"Ich glaube, dass es gut ist sich zu erinnern, wenn wir uns als Volk schon einmal so außerordentlich benommen haben", so der Fotograf. "Und es ist gut, wenn mein Buch diese besondere Aufgabe übernimmt." Die Bildfolgen in Koudelkas Buch "Invasion - Prag 68" machen die Wut und die Verzweiflung, den Humor und den Mut der Menschen direkt spürbar, sie sind Zeugnis eines unmittelbar Beteiligten. Viele dieser Aufnahmen werden jetzt erstmals gezeigt. "In dem Buch wollte ich nicht viel Text haben", so Koudelka. "Also haben wir nur dokumentarische Texte gesetzt - mit Ausnahme vom Schlussteil, wo ich jeden einzelnen Tag dieser Woche beschrieben haben wollte. Doch ist das Buch eigentlich aufgebaut wie ein Film. Hier die allgemeine Information über den Offizier und plötzlich gelangst du zu diesem hier, wo du siehst, was dieser Russe auf dem Panzer eigentlich selbst sieht, während er die Menschen, die versucht haben, zu dem Hörfunkgebäude zu gelangen, vor sich hertreibt."

Prag, Wenzelsplatz, am Mittag des 21. August: Josef Koudelka ist auf dem Turm eines russischen Panzers. Es sind Fotos, die unter Lebensgefahr entstanden. Auf die Frage, ob er Angst hatte, antwortet er: "Ich denke, ob ich Angst hatte oder nicht, das ist nicht so eindeutig. Da war Angst, da war Spaß und das ist alles. Wie oft gelingt es dir, auf dem Wenzelsplatz auf dem Rücken eines russischen Panzers zu fahren? Als meine Freunde mich sahen, sagten sie, sie dachten, dass es jeden Moment mit mir zu Ende geht, weil ich vor den Maschinengewehren herumgelaufen bin. Manchmal schossen sie und manchmal zerstörten sie die Fotoapparate, aber ich hatte das große Glück, dass die Russen mir nie meine Filme weggenommen haben."

Eine Woche lang stellen sich die Menschen einer halben Million fremder Soldaten entgegen. Fast 100 sterben, Tausende werden verletzt, Hunderttausende fliehen aus der Heimat. Dann folgt der Verlust jeder Hoffnung und eine Restitution der alten Diktatur. "Ich kann ja verstehen", so Koudelka, "dass die Menschen vergessen möchten, aber das, was in der Tschechoslowakei passiert ist, hat immer noch seine Gültigkeit, denn es ging dabei um nichts anderes als um die Freiheit!" Koudelka war damals der bekannteste anonyme Fotograf der Welt. Zwei Jahre nach 1968 ist er dann doch emigriert. "Ich habe die Tschechoslowakei nicht verlassen, weil ich in den Westen wollte, damit es mir dort besser geht", erklärt er. "Ich habe die Tschechoslowakei verlassen, weil die Fotos, schon in der Zeit, als ich noch dort lebte, ohne meinen Namen veröffentlicht wurden. Doch wenn die Polizei darauf gekommen wäre, von wem sie sind, wäre ich natürlich ins Gefängnis gekommen. Und weil die Fotos in der ganzen Welt publiziert wurden, und eigentlich der Beweis dessen waren, was in der Tschechoslowakei wirklich vorgefallen ist - was etwas vollkommen anderes war, als was die Russen der Welt Glauben machen wollten. Aus dem Grund bin ich gegangen: Weil ich Angst hatte."

Wegen dieser Fotos hat Josef Koudelka 1970 seine Heimat verlassen. Aber es sollte noch 14 Jahre dauern, bis er sich 1984 als Autor zu seinen Bildern der Invasion bekennen konnte.

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