ZUGABE. Talentprobe – Ein Wiedersehen 

Ein Film von Peter Goedel und Manfred Behrens
Deutschland 2009     97 Minuten
Regie: Manfred Behrens
Kamera: Hans Albrecht Lusznat, Axel Brandt
Ton: Zoltan Ravasz
Produktion: Peter Goedel
Redaktion: Jutta Krug
Erstsendung: WDR

TALENTPROBE, eine Open-Air-Veranstaltung im Kölner Rheinpark seit 1971. Im Juli 1979 begleitete der Filmemacher Peter Goedel diese Auftritte der Laienkünstler vor über 4.000 jubelnden und buhenden Zuschauern. Es entstand ein Film, der im Kino zu viel Belustigung führte und Kult wurde.
30 Jahre später begibt sich Manfred Behrens zusammen mit Peter Goedel, diesmal als Produzent, auf die Suche nach den „Talenten“ von damals. Er zeichnet ihre Lebenswege und – träume nach und versammelt sie noch einmal bei einem letzten Auftritt auf der Bühne am Kölner Tanzbrunnen.


 
20000 Meter Material, vier ARRI-BL’s, ein Tonlastwagen und vier Ikea-Küchenuhren: Das war vor dreißig Jahren das Backrezept für den ersten deutschen Dokumentarfilm in 35mm schwarz-weiß und Dolby-Stereo. Gedreht wurde er von Peter Goedel und seinem Team am 27. Juli 1979 im Kölner Tanzbrunnen unter technischen Bedingungen, die wir heute nur noch als Dokumentarfilmsteinzeit bezeichnen können.
Aber der FilmTalentprobe ist als Mutter aller Castingshows in die Filmgeschichte eingegangen. Im Sommer dieses Jahres haben Produzent Peter Goedel und Regisseur Manfred Behrens noch mal nachgeschaut, was aus ihren Protagonisten von damals geworden ist. Jutta Krug vom WDR war nicht nur so mutig, diese Nachlese dreißig Jahre danach zu finanzieren, sie hat auch das Geld für einen Konzertabend besorgt, um die Protagonisten von damals noch einmal auf die Bühne zu holen; am selben Ort im Kölner Tanzbrunnen.
Der filmische Rückblick von Peter Goedel und Manfred Behrens wird einen prominenten Platz im Programm der Hofer Filmtagen einnehmen. Wir nehmen dieses Ereignis zum Anlaß, einmal genauer nachzuforschen, unter welchen technischen Bedingungen die Kamera- und Tonkollegen Filmgeschichte geschrieben haben.
Peter Goedel hatte Theaterwissenschaften, Philosophie und Kunstgeschichte in München und Köln studiert und nach einigen Jahren am Theater ab 1974 Filme für den BR und WDR gedreht und war wie die meisten Kölner zu dieser Zeit auch in Udo Werners Talentprobe für jedermann geraten. Werner tingelte als Moderator und Entertainer mit einer Talentshow seit Mitte der 50er Jahre durch Tanzbars und Diskotheken und hielt sie seit 1971 während der Sommermonate 14 tägig im Kölner Rheinpark am Tanzbrunnen ab. Bewerben konnte sich jeder mit drei Gesangsnummern und Werner stellte jeweils ein Programm mit durchschnittlich 10 Talenten zusammen, wobei jeder zwei der eingereichten Nummern vortragen durfte. Das Publikum war getrieben von Schadenfreude und verfolgte die Auftritte der zumeist wenig talentierten Gesangskünstler mit gnadenlosem Spott, wobei Zwischenrufe wie „Ausziehen!“ oder“ Notenschänder!“ noch die harmloseren Formen der Mißachtung waren. Zuweilen wurde auch mit Eiern geworfen, aber die Publikumsreaktionen gehörten zum Ritual, und mit 4000 bis 5000 Zuschauern hatte man ein volles Haus. Immerhin sind auch die deutschen Schlagergrößen Mary Ross, Ingrid Peters und Nicole anfangs bei Werner aufgetreten.  Peter Goedel hatte gerade für die WDR Musikwelten einen Film über einen angehenden Schlagerstar gemacht: Rainer, 21 Jahre, möchte Schlagersänger werden  und war von seinen Besuchen am Tanzbrunnen so begeistert, daß er mit Coautor Herbert Hoven die Talentprobe als Filmstoff bei der Filmförderung einreichte. Gefördert wurde nicht, aber auf einem der zurückgeschickten Exposes fand Goedel den handschriftlichen Vermerk eines Gremium-Mitglieds: JA!! Das gab dann den Ausschlag für die Entscheidung:  Den Film produziere ich selbst. Weil es ein Musikfilm werden sollte, wollte Peter Goedel den besten Ton für dieses Projekt. Gerade hatte Adolf Winkelmann mit „Jede Menge Kohle“ den ersten deutschen Dolby Stereo Tonfilm abgedreht und die notwendige Erfahrung gesammelt. Mit dem Winkelmann Team musste auch dieses Projekt gelingen, und so wurde David Slama als DoP verpflichtet und Hans Peter Kuhn als Filmtonmeister, und weil Slama auch Dozent an der DFFB in Berlin war, brachte er für die Mehrkameraproduktion Kollegen aus Berlin mit. Peter Goedel hatte sich den Dreh in vier Komplexe eingeteilt: 1. Das Eintreffen der Talente, 2. Das Anmeldegespräch mit Udo Werner, 3. Die Probe mit der Band, 4. Der Abend mit den Auftritten. Im Vorfeld hatte er sich mit David Slama für Schwarz/Weiss entschieden, schon weil der Bühnenhintergrund am Tanzbrunnen aus einem in den 70er Jahren angesagten Orangerot  bestand, von dem jeder wusste, das kommt im Film ganz furchtbar rüber. Schwarz/Weiß bedeutete dann aber zwangsläufig 35mm Material, da das 16er Material zu sehr rauschte. Mit Arnold&Richter in München wurde ein guter Komplettpreis ausgehandelt, für vier BL35 Kameras mit Zubehör inklusive Entwicklung und Muster. Da das Orwo Material aus der DDR nicht nur günstig war, sondern auch eine kontrastreiche Qualitäten hatte, war es bei Schwarz/Weiß Projekten beliebt. Bei den Testaufnahmen stellte David Slama aber fest, daß die Perforation des gelieferten Materials nicht optimal mit der BL35 harmonierte und der Film zu Flattern begann. Deshalb musste man kurzfristig vor Drehbeginn 20 000 Meter neues Material für annähernd 12 Stunden Drehzeit beschaffen und das war nicht ganz so einfach. Peter Goedel kaufte von Kodak, Agfa und Ilford alles zusammen, was er auftreiben konnte. Bei der inhaltlichen Planung war die Wahl für den Dreh auf den 27. Juli 79 gefallen, weil für diesen Termin eine Mischung unterschiedlichster Talente angemeldet war. Goedel und Hoven haben im Vorfeld alle Teilnehmer besucht, auch um sicher zu sein, dass sie alle mitmachen würden.  Jetzt galt es nur noch die technischen Probleme zu bewältigen. Von der Konzeption war der Film um die Stereo-Tonaufzeichnung gruppiert. Der Tanzbrunnen wurde stereomäßig verkabelt, Bühne, Zuschauerraum und die Nebenräume waren mit Mikrofonen bestückt und alles wurde in einem Tonwagen auf Bandmaschine durchgehend aufgezeichnet. Nun bestand die Herausforderung darin, die vier Arriflex 35BL nicht nur synchron zur Tonaufzeichnung zu halten, sondern auch eine spätere Zuordnung zum Tonmaterial zu ermöglichen. Für 35mm gab damals es noch keinen Timecode. Die Lösung war ein Primitiv-Timecode, bestehend aus vier quarzgetriebenen Küchenuhren, die Peter Goedel bei Ikea  erstand. Jeder Assistent der A, B, C, D, Kamera bekam eine gleichgestellte, auf Echtzeit laufende Küchenuhr umgehängt, und am Anfang jeder Rolle musste er kurz ins Bild treten, bzw. die Uhr ins Bild halten. 

Die Rollen liefen grundsätzlich durch, d.h. nach 10 Minuten 57 Sekunden musste die Dreihundertmeterkassette gewechselt werden. Für das Heranschaffen des Nachschubs gab es Runner, für das Einlegen des Films Materialassistenten.  Kurz vor dem Dreh, so erzählt Kameramann Axel Brandt, stellte sich heraus, daß die angeheuerten Materialassistenten keine Erfahrung im Einlegen hatten, so daß Slama mit Karsten Wichniarz über Nacht einen Experten herbeiholte, der das Nachlegen organisierte. Wichniarz hatte seine Hände ab 14 Uhr im Dunkelsack und da blieben sie dann bis Drehschluß. Assistent 1 legte eine geöffnete Büchse hinein, Assistent 2  schob Kassette nach und schloss den Sack, Assistent 3 nahm die eingelegte Kassette, machte die Schlaufe und schloss den Deckel. Das ganze musste in ein bis anderthalb Minuten über die Bühne gehen, denn es gab nicht nur 300ter Kassetten sondern auch 120er. Als Karsten Wichniarz nach der Show und 10 Stunden ununterbrochenem Einlegen die Hände aus dem Dunkelsack nahm, so erinnert sich Axel Brandt, waren nach 70 bis 90 Kassetten die Fingerspitzen zerschrammt und blutig von den harten Kanten des Zelluloid. Für den Raucher Karsten Wichniarz – heute ein anerkannter Regisseur von Vorabendserien – war die erste Zigarette nach dem Marathon die zweitschönste seines Lebens. Bei der Veranstaltung waren zwei Kameras mit David Slama und Erich Krenek im Zuschauerbereich platziert, eine dritte stand links auf der Bühne mit Rene Perraudin, und die vierte mit Axel Brandt war im Backstage Bereich. Das Anlegen fand im Schneideraum der Gruppe3 in München statt, und mit dem Primitiv-Zeitcode war es vergleichsweise einfach, Bild und Tonmaterial einander zuzuordnen. Der Tonmeister und die Tonangler hatten in gewissen Abständen und günstigen Momenten auch die Echtzeit auf das Band gesprochen. Die Zwischenwerte ließen sich dann mit dem Zählwerk am Steenbecktisch bestimmen.Zwei Monate lang saß Peter Goedel mit einem Freund am Tisch, bis alles Bildmaterial synchron zum Ton, geordnet in die vier Blöcke, die schon vor den Dreharbeiten festgelegt waren. Nach einem Jahr Schnitt war das Material auf eine Länge von fünf Stunden zusammengeschnitten bereit für eine erste Vorführung.
Unter den Zuschauern war Laurenz Straub von der Filmwelt, die später den Film in den Verleih nahm.  Er schickte den Schnittmeister Peter Przygodda, der gerade Wenders „Lightning over Water“ bearbeitete, zu Goedel in den Schneideraum und der war von dem, was er da sah so angetan, daß er nebenher mit seinem Rat aushalf:  „Man muss wissen, was weg kann, das ist die Kunst“ . So wurde auf zweieinhalb Stunden gekürzt, bevor es in die Mischung ging, und auch hier gab es wieder ein Problem: Welches Studio konnte Dolby Stereo mischen? Fündig wurde man in den Alster Studios Hamburg, die kurz zuvor der Porno Filmer Alan Vydra  übernommen und mit Dolby Stereo aufgerüstet hatte, um den Beate Use Filmen zu einem neuen Reiz zu verhelfen. Im Herbst 1980 hatte der Film bei den 14. Hofer Filmtagen Premiere, die Stimmung war roßartig (?) und als Peter Goedel auf die Bühne stieg, zur Diskussion mit Festivalleiter Heinz Badewitz, kam aus dem Saal in die Stille der Zwischenruf einer Kritikerin: Das ist ja zynisch, menschenverachtend, barbarisch! Dieser Vorwurf ist auch in allen anschließenden Diskussionen und Kritiken immer wieder erörtert worden.  Eines aber war nach der Premiere sicher: Der Dolby Stereoton hatte sich gelohnt, denn wenn im Film die Veranstaltung beginnt, dann sitzt das Filmpublikum an Stelle des Veranstaltungspublikum im Raum und hört die Zwischenrufe entsprechend. Bei der Pressevorstellung des Verleihs in Köln waren auch alle Talente eingeladen und mehr als vor der Presse hatte Peter Goedel Angst vor den Reaktionen der Talente, denn im Vorfeld hatte er ihnen einen Einspruch zugestanden. Alle waren begeistert und angetan, denn ihre Motivation für die Talentprobe war recht unterschiedlich aber allgemein viel lockerer als es bei den heutigen Casting-Shows ist. Was ist aus den Talenten von damals geworden? Diese Frage hat sich der Fernsehjounalist und Hörfunkmoderator Manfred Behrens gestellt und mit Peter Goedel als Produzent hat er 2008 bis 2009 einen neuen Film über die damaligen Talente gedreht mit einem Kameramann von damals, Axel Brandt. Behrens und Goedel haben über das Jahr hinweg nacheinander alle 12 der damaligen Talente aufgespürt, viele sind bei der Musik geblieben, einige haben sie zum Beruf gemacht, für andere war es ein Probieren oder eine Mutprobe auf dem Tanzbrunnen aufzutreten.  Der neue Film, er hat bei den Hofer Filmfestspielen 2009 Premiere, hat eine neue Dimension. Was haben sie aus ihren Talenten gemacht. Das sie alle noch singen können, und alle viel besser geworden sind, daß haben die Talente in einer vom WDR gesponserten Veranstaltung im August bewiesen, natürlich am Originalschauplatz vor einem heute zahmen Publikum.   (Text: Hans Albrecht Lusznat    Fotos: Manfred Vollmer)
Der Film ist in der Zweitausendeins Reihe Dokumentation Nr. 29 erschienen.