Familiengeschichte 1980

Deutschland 1980, 43 Minuten
Dokumentarfilm, 16mm, s/w
Regie: Jürgen Heckmanns
Kamera: Hans Albrecht Lusznat
Ton. Jürgen Heckmanns
Schnitt: Hans Albrecht Lusznat
Produktion: Realfilm München GmbH


Oral History: Wieviel läßt sich aus den Erinnerungen eines alten Herrn für die kollektive Geschichtsschreibung gewinnen? Der Neffe begleitet seinen Onkel mit dem Mikrophon, stellt Fragen an ihn. Der Freund des Neffen filmt den Vorgang mit der 16mm-Handkamera.  So gehen die drei durch den kleinen Ort Fischeln bei Krefeld, vorbei an Lebensstationen des Schulrats a. D. und Familienforschers Franz Heckmanns (geh. am 10. 6. 1892).  Er erzählt aus seinem Leben und über sein Wirken als Pädagoge und Kommunalpolitiker. Den abschließenden Teil des Films bestimmen seine Ausführungen über die Familiengeschichte. Warum verdient der Film Interesse?
Geschichte durch Erzählen vermitteln: Für das kollektive Geschichtsbewusstsein mag der Film, d. h. das was der ehemalige Schulrat erzählt, von untergeordneter Bedeutung sein, ein Mosaiksteinchen vielleicht.  Interesse verdient er auf jeden Fall durch die Schilderung von Vergangenheit, die sich mit der Gegenwart vergleichen lässt. Die Veränderungen in einem kleinen Dorf, die anderen Strukturen lassen sich aus dem Gesagten eruieren.  Wenn Franz Heckmanns vor dem Haus stehen bleibt, in dem er seine Jugend verbracht hat, von dem Garten im Hinterhof erzählt und ein türkischer Gastarbeiter, jetzt Bewohner des Hauses, tritt vor die Tür, des Deutschen nicht mächtig, winkt er ab, er möchte nicht hinein, möchte sich seine Erinnerung nicht zerstören lassen. Er verweist auf das Bild, das in seiner Wohnung hängt und den Zustand von damals ja zeigt. Heute aber!  Er sprichts nicht aus, man spürt es an seinem Verhalten. Die Veränderung einer dörflichen Struktur wird dem Zuschauer in der kleinen Geste fühlbar bewusst. Der Mann selbst: Ungemein vital hetzt er mit den jungen Reportern durch den Ort, wird von Leuten begrüßt, die ihm etwas zu erzählen wissen, er hört gar nicht richtig hin, weil er ganz von der Aufgabe gefangen ist, filmische Bedeutung zu bekommen. Ein ehemaliger Schüler von ihm labert die drei voll, er entfernt sich und der Schulrat: "Das war ein ganz dummer Schüler". In seiner Familiengeschichte geht er auf, aber erzählt und forscht doch nur verstärkt nach der bürgerlichen Seite hin, den bäuerlichen Zweig weiß er als nicht so zur Familie gehörig hintanzustellen.
Mit hervorragender ruhiger und doch beweglicher Kamera eingefangen: ein Dokument über einen Menschen mit seiner Erinnerung, seinen manchmal zwiespältigen Äußerungen, seinen sympathischen Zügen, dem dieses Interview selbst zum Erlebnis wird.


Erinnerung wird also zum zweifachen Thema des Films, Erinnerung an das vergangene Leben und Erinnerung durch Dokumente der Familiengeschichte. Äußerst subjektive Erinnerung - aber dadurch spannend und liebenswürdig, auch wenn der Betrachter nicht die geäußerte Meinung teilen mag.
Der Film wurde in Oberhausen ohne Kommentar abgelehnt. Dass Tomaten auf den Augen die Sehsensibilität beeinträchtigen ist ja längst bekannt.
Erwin Schaar in Medien+Erziehung Heft 5/1980 Seite 310