"Ich werde reich und glücklich"
Chancen und Risiken des positiven Denkens
Ein Film von Doris Metz
D 2002, 90 Minuten
Dokumentarfilm, Digibeta
Regie: Doris Metz
Kamera: Sophie Maintigneux,
Kamera 2: Hans Albrecht Lusznat
Ton: Olaf Krohn
Schnittdramaturgie: Gaby Kull-Neujahr, Kris Weiland
Musik: Gert Wilden Jr.
Redaktion: Gudrun Hanke el Ghomri, SWR, Brigitte Schroedter, BR
Produktion: Klick Film
Erstsendung Mittwoch den 4.12.2002 um 23.00 Uhr, ARD
Alle wollen reich und glücklich werden: der Berggastronom aus Davos, die Nailart-Designerin aus Zeulenroda und der protestantische Pfarrer aus Frankfurt. Alle wollen erfolgreich sein. Wie das gehen soll, sagt ihnen der Erfolgs- und Motivationstrainer Jürgen Höller. Doris Metz hat drei Frauen und drei Männer über acht Monate hinweg auf ihrer Suche nach dem Erfolg begleitet. Herausgekommen sind bizarre, anrührende und beklemmende Geschichten von Menschen, die Gewinner sein wollen und sich dabei immer mehr verlieren. Die Filmemacherin taucht mit ihren Protagonisten ein in die Welt der Erfolgssüchtigen und vermittelt Einblicke in den Seelenzustand einer Gesellschaft, die es sich angewöhnt hat, Geld mit Glück gleichzusetzen. (Text: Bergblick)
Das Phänomen Jürgen Höller
epd Fast könnte man zum Pharisäer werden, ein Gebet gen Himmel schicken und sagen: "Ich danke Dir, Gott, dass ich nicht bin wie diese." Diese fanatisch erleuchteten Gefolgsleute des windigen Motivationstrainers Jürgen Höller, die einsam durch die Landschaft keuchen und sich selbst anfeuern: "Ich bin der Beste!" "Ich bin begeistert!" "Ich schaffe es, ich schaffe es, ich schaffe es!"
Hat Doris Metz mit ihrem Dokumentarfilm diese selbstgerechte Regung beim Publikum provozieren wollen? Hat sie etwas Ähnliches selbst empfunden? Das "Mäh" der Schafherde im Gegenschnitt zu einer Seminarsitzung deutet jedenfalls darauf hin. Und geht das überhaupt: Menschen begreifen, die glühend vor Ehrgeiz und mit abgeschaltetem Verstand einem "Führer" folgen, der ihnen befiehlt: "Gib alles und dann noch zehn Prozent", "Sag ja zum Erfolg", "Gib niemals auf" oder "Schau doch die traurige Figur im Spiegel an - das bist du"?
Nein, man geht innerlich umgehend auf Distanz zu den fünf Höller-Gläubigen, die Doris Metz herausgegriffen hat, um sie zu porträtieren: Kerstin Mecklenburg, die "Freie Versicherungsmaklerin" ("Meine Denke hat sich von Grund auf geändert"), die "Nailart-Designerin" Katrin Brückner ("Das ist wie eine große Gemeinschaft, wie in der DDR-Zeit"), die Teamtrainerin Nicole Gruber ("Ich hab' heute die Einschätzung der Menschen anhand des Gesichtsausdrucks gelernt, jetzt weiß ich, wo ich die dann hinstecken kann"), den Schweizer Thomas Kulcsàr, Geschäftsführer eines Bergrestaurants in Davos ("Mich hat Höller im August 1999 aufgerüttelt"), und Klaus Douglass, evangelischer Pfarrer bei der Andreas-Gemeinde im hessischen Niederhöchstadt: "Ich bin für Höller der spirituelle Mentor, so wie er mich für Motivation und Bühnenpräsenz mentoriert."
Und bei einer der Präsentationen dieses Pfarrers gestattet sich Doris Metz, gestattet sich die Kamera einen visuell effektvollen Kommentar: Der Prediger beim Proben wird doppelt, im Fensterglas gespiegelt, aufgenommen - ein ästhetisch raffinierter Hinweis auf die Doppelzüngigkeit, mit der sich dieser eitle Religions-Manager später, als gegen den insolventen Höller schon ermittelt wird, von seiner zuvor so schamlos betriebenen Kumpanei mit einem Menschenfänger opportunistisch distanziert: "Ich wollte diese eindimensionale Erfolgslehre immer schon differenzierter sehen. Insofern war ich jetzt nie der hundertprozentige Jünger einer, Nimm dir egal vor, was du möchtest, und du wirst es erreichen'. Und wir haben jetzt ja erlebt, dass das so eindimensional nicht stimmt."
Dass Doris Metz auf jeden verbalen Kommentar verzichtet, ist zwar klug, gleichzeitig aber auch die einzig angemessene Entscheidung bei Leuten, die sich bereitwillig selbst um Kopf und Kragen reden: "Ich bin nicht das Huhn, das vor dem Zaun steht, ich bin der Adler, weil für Vögel gibt es keine Grenzen." "Mein Power-Programm für diese Woche hab' ich hier in mein Heft geschrieben: Ich will Messe-Nägel für München gestalten; ich will gesund und fit sein; ich will eine Partnerin für meinen Mann sein; ich will die Halloween-Party vorbereiten."
Und glücklicherweise gibt es ja auch Herrn Steiner, der früher mal ein Partner von Höller war, dann aber seine Windigkeit durchschaute: "Er sagte immer, sein Ferrari sei sein liebstes Stück. Das stimmt aber nicht. Bei einem Ferrari braucht man Einfühlungsvermögen und technisches Verständnis. Für mich hat Jürgen Höller beides nicht." Vor allem aber "ist wissentlich gelogen worden, die Ethik fehlte". Denn Höller habe klipp und klar gesagt: "Ich gewinne, und du kannst froh sein, wenn du dabei bist."
Aber je länger man diesen Leuten zuhört, je mehr man staunen muss, woher, zum Beispiel, die "Nailart-Designerin" 50.000 Mark erspart, um sie im Zeitraum von zwei Jahren der "Inline AG" von Höller zuzuführen, je häufiger das Infoband über den galoppierenden Bankrott von Höllers Firma informiert, desto mehr drängt sich die Frage auf: Wie sieht es denn tatsächlich hinter der so schön gefilmten Fassade aus? Genügt es, Jürgen Höller immer wieder aus der Froschperspektive zum Guru zu stilisieren?
Oder ist das nur eine Lösung aus Verlegenheit, weil er von Angesicht zu Angesicht nicht richtig zu packen war? Und wäre nicht dieser eklatante Fall von Insolvenz mal eine Chance gewesen, zumindest den Versuch zu machen, die dunklen Geldkanäle zu beleuchten? Damit man nicht ganz so ratlos dasitzt, wenn es nach dem Abspann heißt: "Februar 2002 - Das Insolvenzverfahren wird eröffnet." "März 2002 - Jürgen Höller gründet die Inlife GmbH - Mehrheitsgesellschafter ist die Familie Höller."
Geheimnisvolle Pointe eines von Sophie Maintigneux wunderschön gefilmten Phänomens. Nur ist man hinterher nicht klüger als zuvor. Allenfalls ein wenig misanthropischer. Und sehr gespannt, ob sich demnächst mal jemand für den weiteren Werdegang von Pfarrer Douglass interessiert.
Sybille Simon-Zülch