Alles Schrott - Der Maler Werner Keller


Ein Film von Thomas Koerner
D 1993  35 Minuten
Dokumentarfilm  BetacamSP
Kamera: Hans Albrecht Lusznat
Ton: Marc Haenecke
Schnittdramaturgie: Christopher Franke
Produktion:  ABM München
Erstsendung 3. Juli 1994 Normal in DSF um 11.55 Uhr

40. Oberhausener Kurzfilmtage Preis der Arbeitsgemeinschaft der Filmjournalisten für den besten deutschen Kurzfilm


Werner Keller lebt im Saarland. Seine Kindheits- und Jugenderfahrungen sind von den Kohlehalden der heimatlichen Umgebung geprägt. So nehmen die trostlosen Schlackeberge auch einen dominierenden Stellenwert in seinen Bildern ein, denn Werner Keller ist Maler. Dass er darüber hinaus geistig behindert ist, hat mit der Ernsthaftigkeit seiner Bildaussagen nur wenig zu tun. Der Film erhielt den 1. Preis der deutschen Filmkritik beim Oberhausener Kurzfilmfestival 1994.

Seite 8     Süddeutsche Zeitung Nr. 150            Samstag/Sonntag, 2./3. Juli 1994

"Ohne Trauer ist der Tod nur Verwesung"
Filmemacher Thomas Koerner über seine Dokumentation"Alles Schrott"

Eindringliche und bewegende Bilder hat der Münchner Filmemacher Thomas Koerner gefunden, um das Porträt eines ,beschädigten Menschen in einer beschädigten Region' zu zeichnen, wie es die AG der Filmjourhalisten auf den 40.  Internationalen Kurzfilmtagen in Oberhausen ausdrückte.  Alles Schrott - Der Maler Werner Keller' wurde als bester deutscher Kurzfilm ausgezeichnet.  Er wird im Rahmen des Magazins Normal' morgen um 11.55 Uhr im DSF ausgestrahlt.  Mit Thomas Koerner sprach Stefan Seifert.

SZ: Wie sind Sie auf den Maler Werner Keller aufmerksam geworden?

Koerner: Eine Mitarbeiterin des Vereins Lebenshilfe' hat mich auf eine Ausstellung mit Bildern von Werner Keller hingewiesen, denn sie hielt ihn für hochbegabt und faszinierend.  Ich bin nach Saarbrücken gefahren, habe ihn und seine Eltern kennengelernt, sah die stillgelegte, riesige Hüttenanlage, sah seine Bilder von dieser Anlage, und mir wurde klar, daß da ein Zusammenhang bestehen muß zwischen den zerstörten Landschaften, der Situation der Familie und den Bildern.  Eben diesen Zusammenhang habe ich versucht, im Film darzustellen.

SZ: Werner Keller gilt als geistig und psychisch behindert.  In Ihrem Film geht es ja auch um Sehen, um Blicke, um eine besondere Art der Wahrnehmung.  Glauben Sie, daß diese Fähigkeit bei Werner Keller auf seiner Behinderung fußt?
Koemer: Sein Malen ist kein Reflex auf irgend eine Behinderung - außer eben auf die Schädigung, die er, die seine Familie, die die gesamte Region erfahren mußte durch die Montankrise, durch die ‚Feisetzung' von Tausenden von Arbeitern, die Schließung riesiger, ehemals florierender Industrieanlagen mit all ihren Folgen.  Im Grunde ist sein Blick ein ganz normaler, wenn auch höchst sensibler.  Zeichnen ist seine besondere Fähigkeit, und die hat nichts mit seiner Behinderung zu tun.  Ich frage mich viel eher, wer eigentlich behindert ist, Werner Keller, der in seinen Bildern eine Sprache gefunden hat, die Misere zu schildern - oder seine ratlosen, sprachlosen Mitmenschen, die sich vor dem Fernseher oder in den Alkohol fruchten.  Was mich bei den Dreharbeiten zu diesem Film besonders betroffen gemacht hat, war, daß dieser hochtalentierte junge Mann in einem sozialen Umfeld aufwächst, das ihn nicht versteht und ihn dementsprechend auch nicht fördern kann.

SZ: "Für die meisten ist es nur Material, Schrott, aber manche sehen etwas anderes darin", sagt Werner Keller im Film über die stillgelegte Hüttenanlage. Was sehen Sie darin?

Koerner: Daß die leeren Werkshallen, die Gerippe aus Eisenträgern mehr als nur Schrott sind, ist die zentrale Aussage, die der Film machen möchte., Und die leistet jemand, der als Behinderter abgestempelt wird, nur weil er sich nicht stromlinienförmig in unsere Gesellschaft, in den Arbeitsprozeß einfügen läßt.  In seinen photorealistischen Bildern der Industriebrache stellt er die Geschichte einer ganzen Region dar und beginnt damit eine längst überfällige Trauerarbeit.  Ohne Trauerarbeit ist Tod immer nur Verwesung - und ohne Werner Kellers Bilder wären auch die Industrieruinen nichts als Schrott.


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