Die Arriflex Story 07

Kameramann Fritz Moser 1987

Die Arriflex und der Synchronton
1941 wird ein junger Kameramann der Propaganda Abteilung von Berlin aus mit einer Arriflex 35 nach Rußland geschickt. Er gehört zur Kriegsberichter-Einsatzkompanie, die in Berlin stationiert ist und nach den Aufträgen wieder zurückkehrt. So hat er auch Gelegenheit zur Zusammenarbeit mit den Cuttern, und vor allen Dingen kann er die fertigen Wochenschauen begutachten. Eines gefällt ihm überhaupt nicht. Die unterlegten Töne stammen vom Truppenübungsplatz, wirken steril und hatten mit den Gefechtsgeräuschen in Rußland nur wenig gemeinsam. Es fehlt die Atmosphäre. Der Kamermann ist der gebürtige Münchner Fritz Moser. 1931 hat er als Kamerassistent angefangen, und weill er weder über Freundschaften noch Beziehungen beim Film unterkam, zahlte sein Vater das übliche Lehrgeld. In der Schwabinger Kellerwerkstatt des Münchner Kameraherstellers und Mechanikers Hans Hodres hatte er August Arnold kennen gelernt, als Moser an die Askania seines Chefs Oskar Wenng einen Motor anbauen läßt.
Im Sommer 1941 organisiert sich Moser in Berlin einen der ersten AEG-Tonschreiber des Typs Caesar, das erste Magnettonbandgerät, das mit HF-Vormagnetisierung arbeitet. Die Geräte waren für den Einsatz der Wortberichterstatter gedacht. Mit Hilfe des tragbaren Tonbandgeräts bringt Moser eine neue Qualität in das Geräuscharchiv der Wochenschau. Doch damit gibt er sich nicht zufrieden. Er will gerne synchron gedrehte Originalreportagen aus der vordersten Kampffront bringen, die ein realistisches Bild vom Kriegsgeschehen zeigen. Aus heutiger Sicht, sagt Moser, wäre er damit nicht durchgekommen, denn seine Vorstellung von Berichterstattung hätte bestimmt nicht ins damalige Konzept gepaßt. Immerhin war der Wunsch zu mehr Realität Anstoß, über die Möglichkeit einer Synchronisation von zwei batteriegetriebenen Geräten nachzudenken. Es war Moser schnell klar, daß die Lösung womöglich in der Übertragung der Filmperforation aufs Tonband in Form von magnetischen Impulsen lag. Diese Impulse konnten dann bei der Überspielung die Lichttonkamera steuern. Zurück in Berlin erhielt Moser zwei Wochen Sonderurlaub und konnte seine Idee dem Heeres-Waffenamt, Prüfwesen 7, vortragen. Dem Oberingenieur dort gefiel das Konzept. Doch nach eingehender Beratung wurde das Projekt eine Woche später als kriegsunwichtig und zunächst nicht realisierbar abgewiesen, das voräufige Ende des späteren Pilottonverfahrens.
Nach dem Kreig hält sich Fritz Moser mit allerlei Aufträgen über Wasser. Für die Kennkarten-Aktion fertigte er in seiner Münchner Wohung hunderte von Portaitfotos. Für amerikanische Filmverleiher fotografiert er mit einem selbstgebastelten Kopiergerät aus den Filmkopien Standfotos für die Schaukästen heraus, und 1946 bekommt er eine Stelle bei der Wochenschau „Welt im Film“, die unter amerikanischer Leitung bei der Bavaria produziert wird.

Fritz Moser mit seiner Perfo Arri, unter der Kamera das horizontale Tonlaufwerk

Die erste Arri mit Cordlaufwerk
Die Idee zur synchronen Tonaufzeichnung nach dem späteren Pilottonverfahren verfolgt Moser nach dem Krieg weiter, doch geht es nur schleppend voran. Die Transistortechnik ist noch nicht erfunden, außerdem mangelt es an allem. Bei der Wochenschau arbeitet man für Tonfilmaufnahmen mit einer Einstreifen-Mitchell-Kamera, die auf dem Negativfilm gleichzeitig den Lichtton in Sprossenschrift aufzeichnet. Die erzielbare Tonqualität ist sehr mangelhaft und abhängig von der Feinkörnigkeit des Negativs und seiner Entwicklung zu einem flachen Gamma.
So beschreitet Fritz Moser zwischenzeitlich einen einfacheren Weg der Ausführung seiner Synchronton-Aufnahmeapparatur. Er koppelt Arriflex und Tonbandgerät mechanisch.
Im Deutschen Kameramann 5/1953 beschreibt er die Anlage. Diese Beschreibung wird später einmal der Firma Arnold und Richter hilfreiche Dienste bei einem Patentstreit leisten.
Die Anlage besteht aus einer Schallbox mit Kamera und Magnetlaufwerk, einem Verstärker, Batterien und Stativ. Am Boden der Schallbox ist waagerecht und leicht zugänglich das Magentlaufwerk für 17,5 mm Perfoband angebracht. Bei der Arriflex wird an Stelle des Handgriffs ein Zwischenflansch angeschraubt. Mit diesem Verbindungsstück kann die Kamera schnell mit dem Magnetlaufwerk verkuppelt werden. Der Wechsel von Handkamerabetrieb zum Einsatz in der Schallbox dauert nur einige Minuten. Der linke Deckel der Schallbox gibt das ganze Innere frei, und so lassen sich 120 Meter Filmkassetten und Cordband bequem wechseln. Zur Synchronmakierung werden das Tonband und der Film beim Einlegen gelocht. Der Antriebsmotor sitzt im Magnetlaufwerk und treibt beide Geräte über eine Achse an. Ein elektrischer Fliehkraftregler hält die Drehzahl konstant bei 24 Bildern pro Sekunde. Die Entfernungseinstellung kann von außen vorgenommen werden. Man kann sogar den Objektivrevolver bei laufender Kamera von außen verdrehen. Der selbstgebaute Verstärker arbeitet mit elf Röhren, die von einer im Verstärkergehäuse untergebrachten 2V/54 Ah-Anodenbatterie gespeist werden. Der Frequenzgang der Tonaufzeichnung liegt zwischen 30 bis 1300 Herz mit einem Störabstand von -45dB.
Das normale Arriflex-Stativ droht bei Verwendung des Blimps leicht umzukippen. So entwirft sich Fritz Moser ein Stativ mit Gewichtsausgleich und Fettfriktionen. Alle feinmechnischen Arbeiten werden in bester Qualität von der Münchner Firma Max Killi ausgeführt. Die Firma Killi ist zu dieser Zeit hauptsächlich mit der Herstellung von Pegelmeßinstrumenten für die Wasserwirtschaft beschäftigt. Dieser Moser-Auftrag ist für Max Killi der Einstieg ins Filmgeschäft: Perfoläufer und Stative liefert er bis heute. Von der Moserschen Magnetcord-Arri 35 wird nur ein Stück gebaut und ist ab Ende 1952 für die Wochenschau „Welt im Film“ und andere Aufgaben im Einsatz. Die Entwicklung wurde vom Wochenschau-Chef, dem ehemaligen Hollywood Cutter (Der blaue Engel) Sam Winston, unterstützt. Vor einigen Jahren hat Fritz Moser die Reste seiner Perfo-Arri im Zuge eines Wohnungswechsels verschrottet.

Wochenschau Kameramann Erich Stoll mit der ersten Pilotton Arriflex 35 vor dem Gebäude der Deutschen Wochenschau

Der Pilotton
Nach dem Krieg trug Fritz Moser die Idee vom Pilotton weiter mit sich herum. In München trifft er auf einen Freund aus der Kriegszeit, den ehemaligen Bildberichter Hans Schürer, dem er von seinen Ideen berichtet. Und Schürer weiß jemanden, der Moser mit Meßgeräten und Ideen weiterhelfen kann, seinen Bruder Josef, genannt Peps Schürer. Er ist Meßtechniker beim Bayerischen Rundfunk und läßt sich zunächst nur schwer von der Machbarkeit einer magnetischen Perforation zur Herstellung der Synchronität überzeugen. Doch als er dann Feuer gefangen hat, engagiert er sich sehr für das Projekt. Aus heutiger Sicht ist das Pilottonverfahren äußerst simpel, aber damals, erinnert sich Moser, glaubten die meisten Techniker, mit denen die beiden über das Projekt sprachen, nicht an eine Realsierbarkeit.
Bis Anfang der 50er Jahre war die Arbeit von vielen Mißerfolgen und Unterbrechungen gekennzeichnet, und erst ca. 1953 waren die technischen Vorarbeiten soweit, daß ein Praxis-Versuch gestartet werden konnte. Mosers Wochenschau-Chef Sam Winston wollte das Urteil eines filmtechnischen Sachverständigen einholen, bevor er sich für das Projekt engagierte, und so nahm Moser Kontakt mit dem damaligen Leiter der Bavaria Tonabteilung auf. Die Bavaria hatte damals gerade die ersten Magnetocords gekauft, und der Tonchef bekam fast einen Anfall, als er hörte, eine seiner wertvollen Magnetocords oder Lichttonkameras sollten aus einem Kraftverstärker betrieben werden. Überhaupt war das ganze Projekt aus der Sicht eines großen Atelierbetriebs, der zu Tonaufnahmen mit einem extra Tonwagen ausrückte, nur eine „Spinnerei“ und „bestenfalls für Amateure geeignet.“
Dadurch erlitt die Entwicklung des Pilottonverfahrens zeitlich einen Rückschlag. Moser und Schürer sannen auf Abhilfe. Um nicht die Magnetocord-Perfoläufer mit den Verstärkten Steuerimpulsen speisen zu müssen, entwarfen sie eine Rückwärtsregelung, bei der das Abspielgerät vom Pilotton synchron zur Aufnahmemaschine gesteuert wird. Noch ehe diese Variante baureif ist, gelingt es Fritz Moser, August Arnold für das Pilottonverfahren zu interessieren. Arnold erklärt sich bereit, alle für den Umspielversuch benötigten Geräte und ein Tonstudio zur Verfügung zu stellen. Weil in letzter Minute die Dreharbeiten für einen Spielfilm dazwischen kommen, bittet Moser den Freund Schürer, den Versuch alleine durchzuführen. Es wird ein voller Erfolg. Schürer kann daraufhin die Zusammenarbeit mit Arri intensivieren, während Moser mit Kameraarbeit voll ausgelastet ist.

Arri 35 mit einem frühen Pilottongeber auf der rechten Kameraseite, hier bei einem BASF Industriefilm mit Thomas Doderer an der Kamera

In diesen Tagen im Herbst 1953 taucht auf dem Bavaria-Gelände, wo auch die „Welt im Film“ arbeitet, der Direktor des Süddeutschen Rundfunks/Fernsehens auf und sucht nach einem Chefkameramann für den Aufbau einer Kameraabteilung. Er entscheidet sich für Fritz Moser, der dann 1954 nach Stuttgart wechselt und bis zu seiner Pensionierung dort bleibt. Das Fernsehen nimmt ihn so in Anspruch, daß für die gemeinsame Weitereinwicklung des Pilottonverfahrens mit Schürer keine Zeit mehr bleibt. Josef Schürer führt das Projekt in Kooperation mit dem Institut für Rundfunktechnik (IRT) und dem Bayerischen Rundfunk zu Ende.
Das Pilottonverfahren erwies sich als nicht patentfähig. Die AEG, Erfinder des Tonbandgerätes, hatte sich frühzeitig pauschal die „Aufzeichnung von magnetischen Impulsen zu Steuerungszwecken“ schützen lassen. Schürer fand einen Ausweg, indem er die ursprünglich gewählte Gegentakt-Aufzeichnung des Pilotsignals an den Bandrändern zu Gunsten einer Längsaufzeichnung des Pilotsignals in der Bandmitte fallen ließ. Diese von ihm erdachte Longitunal-Aufzeichnung war schließlich patentfähig.Der Pilotton wird in einem kleinen Wechselspannungsgenerator erzeugt, der auf der rechten Seite der Arriflex-Kamera durch ein Abdeckblech an das Getriebe angeflanscht ist. Im Lauf der Jahre wurden die Ausführungen geändert, bei den letzten Versionen ist der Generator im Tachometer integriert, und das Signal wird über eine Tuchelbuchse an der Kamerarückseite herausgeführt.

Die Arricord, rechte Kameraseite mit dem Perfolaufwerk

Die Arricord
August Arnold hatte sich die Moser-Perfo-Arri 1953 zur Ansicht ausgeliehen. Vielleicht war er von der Idee sofort überzeugt, jedenfalls wurde eine entsprechende Entwicklung in den folgenden Jahren im Hause Arnold und Richter in Auftrag gegeben. Joachim Gerb, dem nach der Konstruktion des ersten Blimps 120 diese Aufgabe zugeteilt wurde, hat die Kamera von Fritz Moser nie gesehen.
Die Arricord 35 besteht aus einem Blimp mit Arriflex IIA, 120-Meter-Kassette und einem 120-m-Cordlaufwerk für 17,5 mm Perfoband, das stehend rechts neben der Kassette angeordnet ist. Alles zusammen ist in einem Spezialblimpgehäuse untergebracht, der dem Blimp 120 ähnelt. Das Blimpgehäuse kann zur rechten Seite hin aufgeklappt werden. Damit ist das Perfolaufwerk zugängig. Zur Sichtkontrolle des Magentfilms gibt es auf dieser Blimpseite ein großes Fenster. Cordlaufwerk und Kamera sind durch ein unter und hinter der Kamera sitzendes Getriebe mechanisch gekoppelt. Der Motor muß bei dieser kombiniteren Bild- und Tonkamera wesentlich mehr leisten. Für die Arricord werden so drei Spezial-Motore entwickelt, die von hinten in einem extra Motorgehäuse im Blimp eingekuppelt werden, zwei Netzsynchronmotore für 220 Volt bzw. 110 Volt und ein Gleichstrom-Nebenschluß-Motor mit Fliehkraftregler für 24 Volt. Damit bei Film- oder Perfosalat der starke Motor nicht die Kamera beschädigt, ist eine Sicherheitskupplung vorgesehen. Die Kraftübertragung aufs Getriebe erfolgt mit einer flexiblen körperschallisolierten Gummiwelle. Kompendien, Schärfenskalen und Blendenverstellung sind wie beim Blimp 120 ausgeführt. Der Verstärker wurde von Siemens&Halske (Klangfilm) gebaut. Die komplette Ausrüstung mit Verstärkern, Batterien und Koffern wiegt 126,5 kg, der Blimp mit Kamera und Magnetlaufwerk 45 kg. 1955 stellte Arnold und Richter die Arricord als Lösung für das Problem der synchronen Tonaufnahme vor, weil das Pilottonverfahren zwar aufnahmeseitig funktioniert, aber die Überspielung vom Schnürsenkel auf Perfoband noch erhebliche Schwierigkeiten bereitet. Im Juni 1955 hat man bereits vier Modelle der Arricord ausgeliefert, in die USA, nach Italien, Großbitannien und eines an die Neue Deutsche Wochenschau.
1958 kostet die Ausrüstung knapp 30 000 DM. Joachim Gerb schätzt die Verkaufszahl der Arricord auf ca. 70 Stück. Obwohl das Gerät keine riesigen Stückzahlen erreicht hat, war es lange Zeit bei bestimmten Produzenten sehr beliebt.

Zum Teil 8 der Arriflex Story