Die Arriflex Story 05

Kamerafertigung 1947 im Schloss Brannenburg

Arriflex-Produktion nach dem Krieg
Die 1942 aus der Münchner Türkenstrasse ausgelagerte Produktion blieb auch nach dem Krieg in Schloß Brannenburg und nahm zaghaft den Betrieb wieder auf. Das Stammwerk in München war völlig zerstört und musste schrittweise wieder aufgebaut werden. 1946 werden 70 Arriflex-Kameras gebaut, und man rettet sich immer wieder von Auftrag zu Auftrag. Meist wird getauscht und alte Kameraleute erinnern sich, dass sie für einen neuen Arri-Scheinwerfer eine entsprechende Menge Metall in Schloß Brannenburg abzuliefern hatten, beispielsweise Säcke voller Zahnpastatuben.
Das Geld ist zu dieser Zeit nichts wert, und Arriflex-Kameras bekommt man nur auf Bezugsschein. Am 20. Juli 1948 – Währungsreform ! – holen sich August Arnold und die Angestellten jeder ihre 40 Mark beim Bürgermeisteramt in Brannenburg ab.
Die Firma steht mal wieder gerade vor dem Nichts, da kommt ein neuer Auftrag über fünf Arriflex-35-Kameras aus Neuseeland. Vor allem das Ausland ist an den Kameras interessiert, und auch die US-Streitkräfte bestellen eine größere Zahl, die die Produktion in den nächsten Jahren auf über 300 Stück hochschnellen lässt. 1952 zieht die mechanische Fertigung als letzter Betriebsteil von Brannenburg nach München in die wiederhergestellten Fabrikgebäude um.

Kameramontage 1952 im wiederaufgebauten Stammwerk in der Münchner Türkenstrasse

Die Arriflex für den Schalfilm
Schon in den 20er Jahren hatte Arnold&Richter die Kinearri auch in einer 16-mm Version gebaut. Das 16-mm Format hatte während des Krieges im Ausland erheblichen Aufschwung erfahren und war dann mit Beginn des Fernsehens vor allem fü die aktuelle Berichterstattung wesentlich ökonomischer als der 35-mm-Normalfilm. Da die Arriflex 35 so erfolgreich war, was lag da näher, als es mit einer Ausführung im 16-mm-Format zu versuchen? Auf Anregung von August Arnold entsteht eine 16-mm-Version der Arriflex 35. Der Exzenter des Greifers wird verändert, der Transportschritt verringert und das Filmfenster mit Andruckschiene verkleinert. Sonst bleibt alles beim Alten. Eine Lösung, die Erich Kästner ablehnt, denn schließlich ist die Arriflex 35 für ein anderes Filmformat konstruiert und für eine 16-mm-Ausführung viel zu groß. Und auch von der optischen Seite her ist dieser Entwurf eine schlechte Lösung, denn schließlich ist alles auf die Bildgröße von 16x22 mm ausgerichtet. Der Prototyp der Arriflex 35 für 16 mm wird regelrecht verworfen. Bei einer Entrümplungsaktion landet er im Müll und taucht auf einem Flohmarkt wieder auf, wo ihn ein Münchner Kameramann entdeckt, erwirbt und anschließend restauriert.

Prototyp der auf 16mm umgebauten Arriflex 35

Erich Kästner beginnt 1946 seinerseits mit der Konstruktion einer völlig neuen Kamera, der Arriflex 16 St, die 1951 auf der Photokina vorgestellt wird und, wie die große Schwester, als die erfolgreichste 16-mm-Spiegelreflexkamera den Siegeszug im 16-mm-Bereich antritt. Die Konstruktion, sagt Kästner, war wesentlich komplizierter, als die der 35-mm-Kamera.

Die Arriflex als Spielfilmkamera in Amerika
Es ist ein Amerikaner, der die Arriflex zum ersten mal intensiv für einen Spielfilm einsetzt. Der Ingenieur und Jurist Delmer Daves hatte sich nach dem Studium ganz dem Film verschrieben. 1943 bekommt er nach mehreren Jahren als freier Drehbuchautor einen Vertrag als Regisseur und Autor bei den Warner Brothers. Sein sechster Film erzählt die Geschichte eines unschuldig Verurteilten, der aus dem Zuchthaus entflieht, sich durch eine Gesichtsoperation unerkennbar macht und dann seine Unschuld beweisen kann. Die Hauptrolle in „Dark Passage“  spielt Humphrey Bogart.
Weil man nun Humphrey Bogart schlecht aus dem Zuchthaus fliehen lassen konnte, um ihn dann durch eine Operation unkenntlich zu machen, wollte Delmer Daves den ersten Teil der Geschichte mit subjektiver Kamera drehen. Für Spezialaufnahmen wurde in Hollywood gelegentlich die Bell&Howell Eyemo eingesetzt, doch sie war nicht nur furchtbar laut, sondern nahm auch nur 100 Fuß Film (30 Meter) auf. Daves bekam für die Dreharbeiten zu „Dark Passage“ 1946 von Alien Properties Office in Washington eine im Krieg erbeutete Arriflex-Kamera. Für Kameramann Sid Hickox wurde ein spezielles Schulterstativ mit zwei Bügeln entworfen, das es ihm erlaubte, alle dem subjektiven Blick nachempfundenen Kamerabewegungen zu machen. Mit diesem Film wurde Delmer Daves, wie er sich selbst bezeichnete, zum „Stammvater“ der Arriflex im Spielfilm. Daves über die Arriflex in einem Interview der `Filmkritik`: „Die Deutschen haben sie als Kriegskamera benutzt, nicht jedoch für den Spielfilm. Deshalb war sie so ausgezeichnet. Man konnte sie unter den Arm klemmen, mit ihr über das Schlachtfeld laufen und sich auf den Boden werfen. Sie hat dem Film mehr Beweglichkeit gegeben, als jedes andere Instrument.“

Der erste Blimp für die Arriflex 35 von Rudolf Brüller

Die Arriflex und der Tonfilm
Als man 1932 erste Konstruktionsüberlegungen zur Arriflex anstellte, lag die Produktion der ersten Tonfilme gerade vier Jahre zurück, und viele glaubten noch gar nicht an einen Erfolg der neuen Technik. Die Arriflex war von Anfang an für das Tonfilmformat konstruiert:
Die Bildmitte entspricht nicht der Filmmitte, sondern ist seitlich verschoben, und zwischen rechtem Bildrand und Perforation ist genügend Platz für die 2,5 mm breite Tonspur vorgesehen.

Arri Chefkonstrukteur Erich Kästner mit einer Arriflex 35, fotografiert 1987 in seiner Schwabinger Wohnung.

Natürlich war die Arriflex anfangs nur als Handkamera gedacht und nicht als Konkurrenz zu schallisolierten Studiokameras. Aber wenn ein Gerät leicht verfügbar ist, dann bleibt es nicht aus, daß sich die Anwender universelle Einsatzmöglichkeiten wünschen. Die Versuche, die Arriflex 35 zu einem Studiokamerasystem auszubauen, begannen schon bald nach Kriegsende, zunächst mit gebastelten Zubehörteilen. Rudolf Brüller fertigt Anfang der 50er Jahre ein erstes Schallschutzgehäuse aus Blech an, ein bescheidener Versuch, die Arriflex leise zu machen.

Der neue Greifer
1952 stellt man bei Arnold&Richter einen neuen Konstrukteur ein: Joachim Gerb. Der 47jährige ist Autodidakt und sagt von sich selbst, dass er außer einer Führerscheinprüfung kein Examen hat. Dennoch hat der Berliner das Handwerk von der Pike auf gelernt, im väterlichen Betrieb in Berlin, als Werkzeugmacher in Kanada und als Mitarbeiter verschiedener Operateure. Gerb baute Rückprojektionsprojektoren mit Pendelfenster, einen selbstfahrbaren Studiokran mit geräuschlosem Elektroantrieb, einen Tricktisch und verschiedene Schrittkopiermaschinen. Während des Krieges ist er bis 1944 als Konstrukteur in der Trickabteilung der AFIFA in Babelsberg angestellt, dem größten Kopierwerk des damaligen deutschen Reiches, wo auch ein Teil der Wochenschauen kopiert wird.

Arri Konstrukteur Joachin Gerb, der Vater der Arriflex 35 BL zeigt hier ein Modell des patentierten Greifers der Arri 35 BL

Nach einem kurzen Zwischenspiel als Luftwaffentechniker geht er nach Kriegsende als Konstrukteur zu Debrie nach Paris, wo er unterschiedliche Kameralaufwerke entwirft und baut, nach dem amerikanischen Prinzip mit Abstandsfenster, gekrümmter Filmlaufbahn und Sperrgreifern. Als sein Vertrag bei Debrie vier Jahre später ausläuft, wechselt Gerb zur Konkurrenz nach München. Erich Kästner ist mit Entwicklungen im 16-mm-Bereich beschäftigt, und so gibt man Joachim Gerb die Arriflex 35 zur Verbesserung. Der Bildstand genügt den steigenden Anforderungen nicht mehr, und der 120 –Grad-Hellsektor lässt zu wenig Licht auf den Film. So konstruiert Gerb in die Arriflex 35 einen Bogendreieckgreifer hinein, eine Technik, die er schon aus der Ufa-Zeit kannte und bei Debrie verwendet hat. Der Greifer wird jetzt nicht mehr von einem exzentrischen Kurbelzapfen auf einer rotierenden Scheibe gesteuert: Ein auf einer Rotierenden Scheibe angeordnetes Bogendreieck greift in einen Ausschnitt des Hartgewebe-Greifers und erzeugt eine fast rechteckige Greiferbewegung mit beschleunigter Transportphase. Da die Scheitelpunkte der Vertikalbewegung für je ein Sechstel der Kreisbewegung unverändert gehalten werden, fährt die Greiferspitze ohne Vertikalbewegung in die Perforation hinein und hinaus, weil beim neuen Greifer Vertikal- und Horizontalbewegung getrennt sind. Die den Bildstand stabilisierenden Ein- und Austauchphasen werden in den Prospekten mit „Sperrgreifer-Effekt“ beschrieben. Durch den schnelleren Zug kann der Hellsektor der Spiegelumlaufblende auf 180 Grad erhöht werden, was die Belichtungszeit um 50 Prozent verlängert.
Mit dem neuen Greifer ändert sich auch die Form des Filmfensters und der Filmandrucktür. Gleichzeitig werden Änderungen am Getriebe vorgenommen, die eine leichtere und kostengünstigere Montage erlauben. Die Vertikalwelle läuft nun in einer Lagerhülse, die auch besser die Schmierstoffe hält. Das Zahnrad zur Motorverbindung wird über Gummizapfen auf die Welle gedrückt, um die in den Beschleunigungsphasen des Bogendreiecks auftretenden Lastspitzen zu verringern. Die Sucherlupe wird ebenfalls überarbeitet und erhält einen größeren Einblick, der das gesamte Mattscheibenbild leichter überschaubar macht. Äußerlich ist das schwarze Sucherlupenrohr nach hinten trichterförmig geweitet. Der Okular-Dioptrienausgleich wird mit einem feineren Feststellknebel versehen. Ansonsten bleibt die bewährte Kamera unverändert, sie wird jetzt unter der Typenbezeichnung IIA geführt und kostet 690 DM mehr.

Zum Teil 6 der Arriflex Story