Kurt Lorenz - Wie wird man Kameramann?

Wie oft wurde mir diese Frage gestellt! Eine Frage, hinter der sich Faszination und Bewunderung für das, was ich da tat, verbarg und wohl auch der Gedanke „das wäre doch vielleicht was für mich“. Und es waren durchaus nicht immer nur Kinder oder Jugendliche, die mir die Frage stellten. Nein, nicht selten waren es Erwachsene, die längst selbst einen Beruf hatten, mit dem sie glücklich waren – oder auch nicht.

Die Frage brachte mich aber auch immer um eine klare Antwort in Verlegenheit. Denn weder in meinem eigenen Fall noch in dem der meisten meiner Kollegen führte der Weg geradlinig und zielbewusst zu diesem Beruf. Sollte ich etwa, ausgehend von meinem Fall, sagen „du brauchst dazu einen russischen Soldaten als Freund und ein großes Interesse für Tiere?“ Auf keinen Fall wäre ich dann ohne die Geschichte davongekommen, die ich jetzt erzählen werde. Und auf keinen Fall taugt diese Geschichte als Wegweiser.

Es war 1945 kurz nach Kriegsende, ich war zwölf und hatte der Umstände wegen keine Schule. Der Ort, ca. 30 Kilometer südlich von Graz, war von der Roten Armee besetzt worden. In unserer Wohnung hatten zwei russische Offiziere Quartier erbeten – ja, erbeten, um der Wahrheit die Ehre zu geben. Ihr gemeinsamer Diener, ein Bauer aus Odessa von 1,90 Meter Höhe war mein guter Freund. Den ganze Tag verbrachte ich mit David, begleitete ihn auf seinen Wegen mit einer von zwei schlanken Braunen, die ich auch reiten durfte, gezogenen Kutsche und war vor allem von seinen handwerklichen Aktivitäten fasziniert, die einen großen Teil seiner Tage ausfüllten.

Eines Tages schenkte mir David einen schwarzen Kasten – eine Agfa-Box. Wie ich zu einem Film kam, weiß ich nicht mehr, aber ich wollte ihn auf keinen Fall mit den üblichen Motiven vergeuden. Getrieben von meinem Interesse für die Tiere der steirischen Wälder durchstreifte ich diese mit meiner neuen Kamera in der naiven Hoffnung, ich könnte mit Aufnahmen nachhause kommen, wie ich sie in den „Kulturfilmen“ vor den Hauptfilmen im Kino gesehen hatte. Natürlich kehrte ich bald ernüchtert zu den üblichen Motiven zurück, und die Tiere des Waldes hatten wieder ihre Ruhe vor mir.

David zog mit seinen Kameraden wieder nach Russland, ich ging wieder in die Schule, machte brav die Matura, brach ein Maschinenbaustudium ab, machte ein technisches Praktikum in Schweden, verließ nach einem Semester die Dolmetscher Schule Zürich wieder, war sozusagen ein Suchender. Ja, und gerade das, so meine ich, ist typisch für den Werdegang so manchen Kameramannes. Aber die Odyssee ist noch nicht zu Ende. Als ich auch des Vermietens von Autos an reiche Amerikaner an meinem Avis-Schalter im Züricher Flughafen Kloten überdrüssig war, muss sich wohl die alte Box wieder gemeldet haben, die inzwischen allerdings durch eine einäugige Spiegelreflexkamera, eine Edixa-Reflex mit Eigenbauteleobjektiv ersetzt worden war. Damit hatte ich sogar einige bescheidene Erfolge in den Wäldern um Zürich, aber an Aufnahmen, wie die eines Walter Wissenbach von fliegenden Fledermäusen mit Lichtschranke – damals, 1954, noch eine große Errungenschaft – war halt nicht zu denken. Aber genau jenem großartigen Künstler mit der Kamera verdanke ich eine wichtige Einsicht. Von mir über die Zeitschrift „Klick“ ausfindig gemacht und angeschrieben, gewährte er mir ein Gespräch bei einer Tasse Kaffee auf der Fotokina 1955. Mit bewundernswerter Offenheit machte er mir klar, dass man von der Tierfotografie allein nicht leben kann, bzw. damals nicht konnte. Enttäuscht, aber dem sympathischen alten Herrn dankbar, fuhr ich wieder nach Hause. Allerdings dachte ich nicht daran, aufzugeben und erinnerte mich, dass es da ja immer noch den „Kulturfilm“ gab.
Also, wo gibt es Filmschulen, möglichst in Deutschland? In München! „DIFF“ – „Deutsches Institut für Film und Fernsehen“ – klingt doch gut, oder? Adresse vom Deutschen Generalkonsulat in Zürich, schriftliche Anfrage, warten.

Die Edixa war meine ständige Begleiterin, ja selbst hinter meinem Avis – Schalter war sie stets griffbereit. Und so gelang mir einmal von Maria Schell ein Schnappschuss, den mir die „Schweizer Wochen Zeitung“ abnahm.

Nein, Ambitionen als Reporter hatte ich nicht. Aber das Fotografieren, Entwickeln der Negative und die Arbeit in der Dunkelkammer war mir für das Kommende zweifellos von großem Nutzen.

Nach einiger Zeit kam dann endlich die Antwort mit den Aufnahmemodalitäten. Also  Anmeldung, 1 ½ Jahre warten, Aufnahmeprüfung drei Tage lang. Dabei u.a. die intelligente Fangfrage an den angehenden Tierfilmer: „Herr Lorenz, Sie wollen in Afrika einen Tiger filmen, wo gehen Sie hin?“ Eigentlich juckte es mich zu sagen „in den Zoo von Johannisburg“, aber ich war mir des Humors des Prüfers nicht sicher und sagte brav „nach Indien“. Leider dauerte auch dieses Studium nur ein Semester. Keine Geräte, kein Filmmaterial, nur Theorie, keine Praxis, streikende Studenten, Sperrstunde. Da, just in den letzten Tagen dieses Institutes kam die Anfrage eines Kameramannes und Dokumentarfilm-produzenten an die Institutsleitung, ob einer der Studenten an einer Stelle als Kameraassistent interessiert wäre. Ich griff sofort zu, obwohl Naturfilme überhaupt nicht im Programm jener Produktion vorkamen. Es war eine jener Weichenstellungen, die das Schicksal manchmal anbietet und die eine gewisse Kompromissbereitschaft verlangen, will man sich nicht später vorwerfen müssen, man hätte leichtsinnig eine Chance vergeben. Schließlich hatte ich eine, wenn auch nicht geliebte, Existenzmöglichkeit aufgegeben, und meine Ersparnisse hätten auch nicht mehr lange gereicht. Nun war ich also Kameraassistent, aber auch, und das ist der Vorteil einer kleinen, genau genommen, Miniproduktion, Mädchen für alles bis hin zum Einholen von Drehgenehmigungen, Organisieren von Requisiten, ja sogar  Besorgen und Überbringen von morgentlichen Blumensträußen für die Freundin des Chefs. Nein, falsch, überbringen durfte ich sie nicht, sondern vor die Tür legen, klingeln und verschwinden! Aber das geht wohl jedem Lehrling so, und nichts anderes war ich zunächst. Einer meiner heißesten Aufgaben war einmal, in einer Ami-Kaserne fünf schwarze GI’s zu organisieren und ihnen klar zu machen, dass sie für einen Werbespot für Pfanni-Knödel afrikanische Menschenfresser spielen sollen. „You know, it’s a joke“ versuchte ich die rassistische Komponente herunterzuspielen, aber sie sahen das ganz locker und kamen in einem schneeweißen Cadillac-Capriolet, gesteuert von einem Elefantenbaby, das dann auch den Häuptling spielte. Im Botanischen Garten vor Palmen-Hintergrungd tanzten die anderen um einen Kessel über einem Feuer und einer trat vor den Häuptling und sagte: „Großer Häuptling, essen kommen! Weißer Forscher ist gar“. Darauf dieser: „Ich nicht essen weißen Forscher, ich essen das da“. Damit biss er in einen Knödel – um ihn nach Ausschalten der Kamera angewidert auszuspucken. Dumm gelaufen nur, dass, als der Spot laufen sollte, gerade die Kongokrise im Gange war, und so wurde aus dem weißen Forscher „Hirsebrei“.

Die Arbeit im Dokumentar-, PR- und Industriebereich ist hochinteressant, bekommt man doch Einblicke wie sonst kaum. Ob in einer herrlichen Berglandschaft, in der Produktionshalle einer Automobilfabrik oder an der offenen Heckklappe einer Transall der Bundesluftwaffe – es ist immer neu und interessant. Allerdings auch nicht immer ungefährlich bei aller gebotenen Vorsicht, wie sich einmal zeigen sollte. „Fliegen müßte man können“, ein Film, der den Ausbildungsgang eines Luftwaffenpiloten zeigen sollte. Wir drehten aus der offenen Seitentür einer Do 27 (langsam fliegender Hochdecker) den Startvorgang eines einmotorigen Schulflugzeuges (Tiefdecker, Sternmotor) mit der Bezeichnung T 6. Wir flogen links über der Startbahn und filmten das Anrollen der T 6, das Abheben und den Steigflug in eine Rechtskurve. Da dies während des allgemeinen Flugbetriebes nicht möglich gewesen wäre, drehten wir in der Mittagspause. Alles klappte sehr gut und nach etwa einer Stunde landeten wir wieder wohlbehalten. Als uns unsere Kollegen jedoch empfingen, schauten wir in kalkweiße Gesichter und alle sprachen durcheinander „na, das war, knapp! Das hätte ins Auge gehen können!“ usw. Wir verstanden zunächst nur Bahnhof und ließen uns erzählen: Während wir in der Luft waren, kam eine verspätete Fouga Magister, ein zweisitziger Düsenjet, nach Hause, wollte zur Landung ansetzen, bekam aber routinemäßig die Anweisung, durchzustarten. Das wiederum bedeutete routinemäßig, dabei etwas nach links von der Startbahn zu ziehen – und genau da waren wir aber zugange, und so schoss die Fouga wenige Meter unter uns durch! Schutzengel?

Ein paar Jahre danach, ich war da bereits Kameramann, musste dieser wohl noch einmal tätig geworden sein, diesmal allerdings schon im Vorfeld, als ich einen Job wegen der zu niedrigen Gage ablehnte, so interessant er auch gewesen wäre: ein Dokumentarfilm über die Goethe-Institute in Holland, Ägypten und Manila. Der Produzent wollte mich zwar anrufen, wenn er vom Auftraggeber, dem ZDF, mehr Geld bekommen könne, aber der Anruf kam nicht. „Sonderbar“, sagte meine Frau, zu mir, „irgendwie bin ich froh, wenn der nicht anruft!“ Und ich stellte fest, dass ich auch so ein Gefühl hatte. Monate später erfuhr ich, dass der Kollege, der letztlich den Job übernommen hatte, bei Manila mit einem viersitzigen Flugzeug abgestürzt ist. Er hat mit schweren Verbrennungen überlebt, der Pilot und ein Mann des philippinischen Goethe-Institutes waren sofort tot und der Produzent starb nach ein paar Tagen an seinen Verbrennungen. Vielleicht doch Schutzengel.

Eine Lehrzeit dauert normalerweise drei Jahre, und der weitere Weg zum Gesellen und Meister ist dann mehr oder weniger automatisch vorgezeichnet. Nicht so beim Film. Die Absprungchance vom Assi zum Kameramann kann lange auf sich warten lassen, es sei denn der Kameramann wird von einer Schlange gebissen, und der Assistent muss die teuren Drehtage retten. Aber schon wieder meinte es das Schicksal gut mit mir! Es war- ja, es war eine Komödie. Ort der Handlung: Nassau auf den Bahamas. Mein Chef drehte für eine andere Produktionsfirma Bilder und Szenen für die Zigarettenwerbung „Peter Stuyvesand, der Duft der großen, weiten Welt“. Eine der Damen, die wir beim Wasserskifahren gedreht hatten, hatte meinem Chef ihre Visitenkarte gegeben – just in case! Es war Mittwoch Abend, und jeden Mittwoch Abend gab es in unserem Hotel Rum gratis! Natürlich hatten wir tüchtig von dem herrlichen „Planter’s Punch“ Gebrauch gemacht, viel Rum mit tropischen Früchten – eigentlich ein Killer, aber wir überlebten es ganz gut. Nur wurde mein Chef immer grimmiger, ich jedoch immer lustiger. Das konnte eigentlich nicht gut gehen. Der englischen Sprache nicht mächtig, beauftragte er mich, das Mädchen-für-alles, die Nummer auf der besagten Visitenkarte anzurufen: „D...ie ssssolll jetzt hhhherkommmmen!“ Inzwischen hatte er zwölf von diesen Killern intus und ich immerhin sechs! Ich hatte ein Stadium erreicht, in dem ich alles nur noch wunderschön sah und nichts mehr ernst nahm, auch nicht den Befffffehl meines Chefs. Das war zu viel! „Llllorenz, du bist gek..k..ündigt!“  Da kam ich wohl, wenn auch nur für einen kurzen Moment von meiner Wolke herunter und erfasste die Schwere dieser Worte. Dann dachte ich, mal sehen ob er sich morgen noch daran erinnert und schwebte auf meine Wolke zurück - ohne den Befehl auszuführen. Am nächsten Morgen kein Wort mehr davon. Er erinnerte sich nicht, obwohl er die ausgesprochene Kündigung auf einem Zündholzpäckchen des Hotels notiert hatte. Wohl erinnerte sich jedoch die mitreisende Produktionsleiterin jener anderen Produktion und bot mir spontan die Stelle des Kameramannes an, die gerade frei geworden war. Jeder andere Assistent wäre ihr um den Hals gefallen, war es doch eine der fünf renommiertesten Werbefilmproduktionen Deutschlands. Ich jedoch lehnte dankend ab. Ja, ich lehnte ab, da ich mich für die fast ausschließliche Arbeit im Studio noch nicht reif fühlte. Natürlich riskierte ich, meine gute Fee zu verärgern, aber ich glaube, sie verstand, dass ich meine Grenzen richtig einschätzte, denn sie blieb mir, wie sich noch zeigen sollte, gewogen. Schließlich ist in unserem Beruf ein Versagen tödlich.

Ein Jahr danach. Statt mich wirklich raus zu werfen, hatte mir mein Chef – die Produktion hatte sich inzwischen erheblich vergrößert – angeboten, in einem zweiten Team als Kameramann zu arbeiten. Eine Kamera war für mich da, ich leitete einen zusätzlichen Assistenten an, aber es tat sich nichts. Und eines Tages, nach dreieinhalb Jahren Assistenz, in denen ich viel gelernt hatte, aber immer noch nicht den Film einlegen durfte (diese heilige Handlung hatte sich mein Chef immer noch vorbehalten) war es soweit, es reichte mir. Schreibmaschine, Kündigungsschreiben auf den Schreibtisch der Chefin, Kündigung im Affekt! Und das ohne greifbaren Ersatz, allerdings mit einer sehr verständnisvollen Frau, aber einem bevorstehenden freudigen Ereignis. Eigentlich sträflicher Leichtsinn – oder nicht?

An diesem Tag, es war Freitag, hatte ich zwei Rollen belichtetes Eastman Color Negativ
35 mm ins Kopierwerk der Bavaria in Geiselgasteig zu bringen. Für den Rückweg wählte ich zufällig (oder nicht ??) die Route, die an jener anderen Produktion vorbeiführte. Und da war sie wohl wieder, die gute Fee, und flüsterte mir ins Ohr „fahr in diese Parklücke und geh hinein!“ Ich jedoch erwiderte „so ein Quatsch! Die werden auf mich ein ganzes Jahr gewartet haben!“ Sie jedoch blieb hart und überzeugte mich mit „wenn Du es jetzt nicht tust, musst Du Dir vielleicht ewig Vorwürfe machen“, und ich ging, allerdings nicht mit der geringsten Hoffnung im Herzen, wirklich nur der möglichen Selbstvorwürfe wegen. Ich kannte die Lokalität, ging die Treppe hoch in den ersten Stock, öffnete die Glastür zu dem langen Gang und wollte in die erste Türe links zum Personalbüro. Ich kam jedoch nicht dazu, denn am Ende des Ganges öffnete sich eine Tür, der Geschäftsführer trat heraus, sah mich, verlor keine Zeit mit Grüßen und fragte „Herr Lorenz, wann können sie anfangen?“ Ich sagte „Montag!“ und war Kameramann. (Es war Freitag, und durch meinen angewachsenen Urlaubsanspruch war ich nicht an die Kündigungsfrist gebunden). Ich war, das gebe ich zu, wie von einem (lieben) Blitz getroffen und musste mich erst einmal in einem nahen Park erholen.

Wie wird man also Kameramann? In der Regel bestimmt nicht so!

(©Text und Bilder: Kurt Lorenz)

 

Kurt Lorenz: Für mich muss eine Kamera 25 Bilder vorwärts laufen.

aus: Film&TV Kameramann Heft 3/1996  Seite 8ff

Anfang Mai laufen im Vorabendprogramm der ARD 13 neue Folgen der bekannten Serie Auf Achse, die von der Bavaria produziert wurden. Hans Albrecht Lusznat sprach mit dem Kameramann Kurt Lorenz über seine Arbeit an der Fernsehserie.

In Graz geboren, bekommt der 12 jährige Kurt Lorenz von einem sowjetischen Besatzungssoldat eine Agfa Boxkamera geschenkt. Der Wunsch Tiere zu fotografieren lässt ihn auch nach vorhersehbaren Fehlschlägen nicht los und als ihn später nach einem zwischenzeitlichen Studium des Maschinenbaus der bekannte Tierfotograf Walter Wiesenbach auf der Photokina 1956 hinsichtlich der Verdienstmöglichkeiten mit der Tierfotografie desillusioniert, wendet er seine Aufmerksamkeit dem Kulturfilm zu. 1957 kommt er nach München an das von Eberhard Hauff gegründete Deutsche Institut für Film und Fernsehen und findet nach der durch Finanzmangel bedingten Einstellung des Lehrbetriebs eine Anstellung als Kameraassistent bei Heinz Sasse. Dreieinhalb Jahre darf er zwar nie einen Film einlegen eignet sich aber die nötige Erfahrung und das Fachwissen an und sieht bei dem ehemaligen PK-Berichterstatter Sasse eine Arbeitsweise, die er sich später sehr zu eigen macht: die Handkamera. Er wechselt anschließend in eine Festanstellung als Kameramann zu Kruse Film und ist dann von 1963 zwei Jahre beim Bayerischen Fernsehen bevor er sich 1965 als Kameramann selbstständig macht. Bis Ende 1994 entstehen rund um den Erdball ungefähr 300 Filme, meistens Dokumentationen. Für den Spielfilm "Ein Tag mit dem Wind "  unter der Regie von Harro Senft erhält Kurt Lorenz einen Kamerapreis in Bombay. In den letzten Jahren hat Lorenz viele szenische Fernsehproduktionen gedreht, darunter einige Tatorts und die Serien Oppen und Ehrlich, Und Tschüß und 20 Folgen von Auf Achse. Sein Wissen hat Kurt Lorenz immer wieder in Lehraufträgen an Studenten verschiedener Schulen weitergegeben; viele Jahre hat er an der Münchner Hochschule für Film und Fernsehen unterrichtet.

Ab dem 7. Mai laufen in der ARD unter der Rubrik Young&Fun im Werbefernsehen neue Folgen der Serie Auf Achse. 86 sind es jetzt. Waren Sie schon früher dabei?

Vor drei Jahrenhabe ich 7 Folgen von Auf Achse in der Türkei gedreht und jetzt die dreizehn neuen Folgen in Bayern mit drei verschiedenen Regisseuren, Charly Weller, Wilhelm Engelhardt und Stefan Klisch.

Worum geht es in den neuen Folgen?

Die Konstellation hat sich grundsätzlich geändert. Ursprünglich war Manfred Krug der Hauptfahrer einer Spedition, die von zwei Frauen gemanagt wurde. In der Türkei war Kai Wiesinger der Beifahrer. Manfred Krug hat die Bücher damals zusammen mit einem Autor umgeschrieben und sich in der letzten Folge mit einer Weltreise aus der Serie verabschiedet.

Die Serie sollte nicht fortgesetzt werden?

Jetzt ist Armin Rohde Hauptfahrer und Markus Knüfken ist der Beifahrer. Die Firma ist in Gelsenkirchen ansässig und der Inhaber gerade verstorben. Die erste Folge beginnt mit dem Leichenschmaus. Nele Mueller Stöfen hat als Tochter das Unternehmen geerbt und steht vor dem Bankrott. Armin Rohde als ehemaliger Fahrer des Vaters kommt aus Afrika zurück und will sein Erbe von 10% antreten. Anstatt die Firma abzuwickeln, will er sie wieder auf die Beine stellen.

Wie waren die Produktionsbedingungen für die neuen Folgen?

Wir haben mit den Dreharbeiten für die 13 Folgen erst im Mai begonnen, und es war abzusehen, dass wir bis in den Dezember drehen. Mit einem Außenanteil von 70% sind die Probleme vorprogrammiert. Am Ende gab es bedingt durch das Wetter heftige Anschlußprobleme, ganz abgesehen von der Lichtsituation. Pro Folge hatten wir 11 Drehtage; das ist effektiv zu wenig und man muss im Durchschnitt 4,5 Minuten pro Tag schaffen. Will man unter solchen Bedingungen noch Qualität liefern, muss man ganz schön hinlangen und genau wissen was man tut.

Sehr viel Zeit zum Ãœberlegen gibt es da nicht?

Alle wollen sparen und die Sender drücken die Produktionsfirmen schon bei der Kalkulation. Die Firmen reichen den Druck an das Team weiter und kürzen die Drehzeiten. Es mangelt obendrein an Drehbüchern, die drehfertig geschrieben sind. In der Regel werden erst beim Drehen die Dialoge so hingebogen, dass man sie drehen kann. Das kostet Zeit, die dann der Technik und Regie fehlt. Ein Beispiel: Im Buch steht: Der Fahrer steigt aus dem LKW, schraubt die Zündkerzen heraus und putzt die Kontakte. Der Autor sollte doch wissen, dass ein LKW-Dieselmotor keine Zündkerzen hat, und dass auch Zündkerzen keine Kontakte haben. Was soll der Fahrer denn jetzt putzen? Für den Fluss der Handlung muss er aber aussteigen. Wir stehen da am  Drehort und überlegt, was der Fahrer tun kann.

Wie sieht die Vorbereitung aus? Lesen sie abends das Drehbuch durch und überlegen sich schon genau die Auflösung. ?

Das Drehbuch lese ich natürlich vorher durch, aber die Auflösung passiert vor Ort. Bei der Stellprobe mache ich meine Vorschläge, abhängig von den Gegebenheiten des Motivs. Da spielt beispielsweise der momentane Sonnenstand eine Rolle. Wegen des Zeitdrucks kann ich nicht alle Motive vorher anschauen. Das erschreckt mich persönlich nicht besonders, denn ich habe über Jahrzehnte als Dokumentarist gearbeitet und da kann man sich die Drehorte nicht aussuchen. Man lernt mit den Gegebenheiten umzugehen. Es gibt kaum Situationen, bei denen ich sage, hier kann ich nicht drehen. Ein Bauernhof ist beispielsweise erst nach langem Suchen gefunden worden, es ist er einzige der überhaupt in Frage kommt. Da kann ich als Kameramann nicht ankommen und sagen, ich drehe hier nicht, weil die Decke zu niedrig ist. Als Dokumentarist kann man diese Situationen meistern. Schwieriger ist es, wenn vom Buch her Dinge nicht stimmen.

Gibt es für die Serie ein fotografisches Konzept ?

Für die Serie nicht. Die Regisseure hatten bestimmte Vorstellungen: Charly Weller wollte eine ruhigere Inszenierung und Kamera und Billy Engelhard wollte Bewegung, aus der Vorstellung heraus, dass Auf Achse Bewegung bedeutet. Wir haben viel mit Handkamera gedreht und  Handlungsabläufe in längeren Einstellungen verfolgt. Früher wurde von dem jeweiligen Land etwas gezeigt, von Mexiko, Tunesien oder der Türkei. Das fällt jetzt aus finanziellen Gründen weg und wir haben Gelsenkirchen nach Bayern verpflanzt und entsprechende Motive gesucht. Weil die Storys auch nicht so toll sind wollte ich optisch dem Zuschauer etwas bieten. Da kann ich einen Dialog in der Fahrerkabine nicht im Stehen drehen und das Auto rütteln. Wir haben die Dialoge fast immer unterm Fahren gedreht. Dafür braucht man bestimmte Vorbauzeiten und technische Vorbereitungen, die auch wieder Zeit kosten.

Es gibt eine bestimmte Routine für Standardsituationen?

Tatsächlich besteht angesichts des Zeitdrucks die große Gefahr, dass man anfängt routiniert zu arbeiten. Man macht einen Mastershot, dann die Person A - Szene durchspielen - dann Person B -Szene durchspielen - fertig: dann können wir nach Herzenslust schneiden. Diese Arbeitsweise ärgert mich. Ich freue mich über jeden Schnitt, den ich vermeiden kann. Das kommt aus meiner dokumentarischen Tätigkeit, wo ich mich immer bemüht habe Szenen durchzudrehen. Jeder vermiedene Schnitt vergrößert die Authentizität. Was für den Dokumentarfilm gilt, gilt meiner Meinung nach auch für den Spielfilm. Ich rechne es dem Regisseur hoch an, wenn er den Mut zu längeren Einstellungen hat. Durchgedrehte Szenen sind für ihn unbequem, sie müssen in der Länge stimmen und im Schneideraum gibt es dann kein Entrinnen. Die Einstellung ist so lang, da kann man nicht kürzen. Man kann zwar zur Sicherheit ein paar Große machen oder einen Zwischenschnitt. Aber jeder Zwischenschnitt ist eine Krücke und bekommt eine dramaturgische Bedeutung. Lichte ich einen Aschenbecher ab, dann fragt sich der Zuschauer sofort, was ist damit gemeint? Mit jeder Einstellung, die ich dem Auge anbietet, setze ich einen Denkvorgang zumindest einen Gefühlsvorgang in Bewegung. Wenn sie den Fernseher einschalten, sehen sie viel Routine bei den Serien. Es gibt kaum Zeit, etwas auszuprobieren und dann zu Gunsten einer anderen Lösung wieder zu verwerfen - von Probeaufnahmen ganz zu schweigen. Ich ermahne mich ständig, kreativ zu bleiben und mir etwas einfallen zu lassen. Gerade bei der Achse mit ihren mannigfaltigen Anforderungen steht man ständig unter Strom, wenn man das Niveau halten möchte, das man sich vorgenommen hat. Der Kommentar des Auftraggebers war dann auch der Satz, Das sieht ja aus wie Kino. Einerseits freut mich das, anderseits liegt darin auch die Gefahr, dass Auftraggeber und Produzenten sagen, Es geht doch! Also werden sich die Produktionsbedingungen nicht ändern und beim nächsten Mal ziehen sie die Sparschraube noch fester an. Ich will aber optimistisch bleiben und hoffe, dass sich unter den Redakteuren der Sender jene vermehren, denen Qualität sprichwörtlich noch etwas wert ist.  Eine Trendwende zu mehr Qualität der Bilder könnte durch eine schärfere Kritik einleitet werden, und die muss von den berufsmäßigen Kritikern kommen. Sie sollten sich die Form ansehen und auch darüber berichten.

Wie funktioniert die Zusammenarbeit mit dem Regisseur? Von wem kommen die Vorschläge?

Mein Prinzip ist immer gewesen: ich mache nicht meinen Film, ich mache den Film des Regisseurs. So verstehe ich mich. Er muss mit den Bildern die ich liefere später zurechtkommen. Ich kann nicht auf eigene Faust losdrehen. Billy Engelhard hat im Voraus geäußert, er will Szenen in einer bewegten Einstellung erzählen. Er hat sich vorher die Länge überlegt und es hat gut funktioniert.

Wie groß war das technische Team um die Kamera ?

Vier Beleuchter, 2 Tonleute, meine Kameraassistentin und ich. Acht Leute insgesamt

 

Welche Kamera und welche Objektive haben sie verwendet?

Wir haben Super 16 gedreht. Die ersten 5 ruhigeren Folgen habe ich mit der Arri SR3 gedreht. Bei den anderen Folgen habe ich viel Handkamera gemacht. Da bevorzuge ich die Aaton. Als Objektive haben wir zunächst das Zeiss 11-110mm und dann zwei Canon Zooms  8-64mm und 11,5-138mm. Die Zoomobjektive benutze ich als Festbrennweiten. Wenn ich eine Zoomfahrt als Ausgleich benutze, dann verstecke ich sie in einer Bewegung.

Immer wieder gab es Kamerafahrten im Auto. Wie sind die entstanden?

Für  PKWs gibt es den Tieflader. Den mag ich nicht. Man merkt ob ein Schauspieler selber fährt. Auf dem Tieflader vergisst er das Lenken. Unser Bühnenmeister Roland Bischofberger hat aus Aluminiumrohren flexible Kameraaufhängungen für den LKW und die PKWs gebaut. Aus einem Grundgerüst ließ sich sehr schnell jede denkbare Konstellation herstellen. Ich sitze dabei immer neben der Kamera, damit ich die Kontrolle behalte und ausgleichen kann, falls sich ein Schauspieler bewegt. Es gibt auch Situationen, wo ich aus dem Dialog in der Fahrerkabine einen Schwenk aus dem Auto auf eine andere Situation mache. Normalerweise wähle ich die Blende so, dass beide Fahrer im Auto scharf sind. Das ging aber nicht immer. Dann saß meine Assistentin Anna Crotti auch noch auf der Aufhängung. Die Mitarbeiter werden viel zu wenig erwähnt. Der Kameraassistent erscheint bei ihrer Zeitschrift in den Drehberichten in Klammern während andere wie beispielsweise der Grip eine eigene Zeile bekommen. Was wären wir ohne den Assistenten, der im richtigen Bruchteil einer Sekunde die Schärfe auf den richtigen Punkt zieht. Der Assistent wird immer so als Lehrling angesehen, aber das ist ungerecht. Der Assistent übt einen Beruf aus, wie jeder andere auch.

Die Szenen sehen erfreulicherweise nicht ausgeleuchtet aus. Haben sie in einer bestimmten Weise Licht gemacht?

Es freut mich immer, wenn jemand fragt: Hast du denn da kein Licht gebraucht. Dann hat er nicht gemerkt, dass ich Licht gesetzt habe. Durch die hochempfindlichen Materialien hat man es heute sehr leicht. Man kann das 500 ASA Material mit dem anderen gut mischen. Wir sind mit relativ wenig Licht ausgekommen und meine Beleuchter, Oberbeleuchter war Peter Hartl, haben sich oft unterfordert gefühlt, waren aber trotzdem immer hoch motiviert. Meine Blende ist meistens offen, was den Assistenten ganz schön fordert.  Wir haben auf Kodak Negativ 200 ASA T als Hauptmaterial gedreht.

Zur Handkamera: da gibt es tolle Szenen. Da fährt die Kamera vorm LKW her, er bleibt stehen, die Fahrer steigen aus, gehen in ein Haus hinein, schauen in verschiedene Räume und gehen in den Hinterhof- die Kamera folgt ihnen die ganze Zeit.

Wir hatten ein Kamerafahrzeug mit einer Plattform, auf dem die Kamera normalerweise auf einer Halterung steht. Ich habe mich da mit der Schulterkamera draufgesetzt, bin dann abgestiegen und mitgelaufen.

Dann gibt es eine Szene auf der Domplatte in Köln mit Rollschuhfahrern. Die haben eine Signalhorn vom LKW geklaut und fliehen nun vor den Fahrern.

Diese Verfolgungsjagd über die Domplatte habe ich im Blindflug gedreht. Ich mache das Okular zu, nehme die Kamera in die Hand halte sie tief über dem Boden und laufe hinterher. Ich bin mir sicher, was ich im Bild habe. Die Videoausspiegelung läuft nur für den Regisseur zur Kontrolle mit.

Haben sie Filter eingesetzt?

Filter habe ich wenig benutzt. Ich bin kein Filterfreak. Mir ist wichtig, dass das stimmt, was vor der Kamera passiert. Ich bin kein Freund von technischen Spielereien. Für mich muss eine Kamera 25 Bilder vorwärts laufen.

Wollen Sie noch etwas besonderes machen.?

Ich bin Realist. Ich freue mich, wenn ich im Rahmen der Möglichkeiten Dinge verwirklichen kann. Es hat keinen Sinn, bei der Härte des heutigen Filmgeschäfts, sich Dinge vorzunehmen, an denen man nur scheitern kann. Das Machbare versuche ich aber so schön wie möglich zu machen, denn erstens kann ich nicht anders und zweitens bin ich optimistischer Realist. Und irgendwann erlebe ich vielleicht noch, dass das Mittelmaß nicht mehr die Norm ist und die Qualität wieder ihren Stellenwert bekommt.

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