Die Arriflex Story 02

«Harry Piel filmt 1938 mit einer der ersten Arriflexkameras für seinen Film "Menschen, Tiere, Sensationen"

Das Konzept
Was war nun eigentlich das Besondere für die damalige Zeit an der ersten Arriflex-Kamera von 1937? Zunächst ist da die Spiegelreflexsuchereinrichtung mit umlautendem Spiegel. Die in einem Winkel von 45 Grad vor dem Film rotierende Umlautblende ist verspiegelt und wirft das Bild auf eine zum Film gleichweit entfernte Mattscheibe. Die Spiegelumlaufblende ist inzwischen - abweichend vom Prototyp - aus Glas gepresst, wodurch eine für die Serien-Herstellung erforderliche Genauigkeit erzielt wird. Diese Ausführung der Blende wird schließlich für Arnold & Richter patentiert.
Die Spiegelumlaufblende hat zwei Flügel, dadurch einen ausgewogenen Lauf, und sie ist im Verhältnis zum Getriebe mit 2:1 untersetzt, läuft nur eine halbe Umdrehung pro Bild. Der wirksame Hellsektor beträgt 120 Grad. Die Spiegelflügel sind durch schwarze Abdeckfarbe nochmals halbiert, um die Flimmerwirkung im Sucher zu reduzieren. Viele Kameraleute haben diese Farbe entfernt, um ein helleres Sucherbild zu erhalten. Die Kamera besteht aus einem Hydronalium-Gußgehäuse, dass Spiegelblende, Getriebe, Greifer, Bildfenster, Mattscheibe und Objektivrevolver auf kleinstem Raum umfasst. Mit 18x18x15 cm Abmessung passt es in einen Schuhkarton und ist vielen Filmprofis zur damaligen Zeit vielleicht schon deshalb suspekt. Die Aluminiumlegierung des Gehäuses ist seewasser- und tropenfest.
Das Filmschaltwerk ist als einseitiger Schwinghebelgreifer ausgeführt, äußerst einfach im Aufbau, doch sehr genau in der Wirkung. Der Schwinghebel ist im Verhältnis zum Radius der antreibenden Kurbelscheibe sehr groß, wodurch die Hebelführung fast geradlinig erfolgt. Die Durchdringungskurve der Greiferspitze entspricht einer lang gezogenen Ellipse. Ideal ist eine Rechteckkurve, bei der die Ein- und Austauchbewegung der Greiferspitze durch Kurvensteuerung völlig abgeschlossen ist, bevor die Transportbewegung des Greifers beginnt. Das Getriebe der Arriflex besteht aus drei rotierenden Achsen und zehn Zahnrädern in einfachster Anordnung. Der Objektivrevolver ist nicht nur Befestigung für drei Objektive, sondern gleichzeitig Objektivfassung. Durch einen Führungsstift gehalten, bewegen sich die Objektive in der Objektivfassung des Revolvers und gleiten hin und her. Dadurch wird bei einem Durchmesser von 42mm der Arriflexfassung eine Anordnung von drei Objektiven auf kleinstem Raum möglich. Der Durchmesser des Revolvers misst nur elf Zentimeter. Das Auflagemaß beträgt 52mm.

Der Verlauf des Strahlen Bündel in der Arriflex-Kamera während der Transportphase des Films.

Schematische Darstellung des Arriflex-Kameraaufbaus im Querschnitt

Alle drei Objektive sind mittels eines Riegelgriffpaares im Revolver zentralverriegel und lassen sich auf einmal ausklinken. Die Filmführung wird aus speziell präpariertem Feinsthartgewebe hergestellt und hat eine federnde Andrucktür. Beides lässt sich als Ganzes zum Säubern aus der Kamera nehmen. Filmabrieb gibt es bei dieser Filmführung äußerst selten. Das Bildfensterformat entspricht mit 16x22mm dem Tonfilm und wird als »amerikanisch<< bezeichnet. Obwohl der Spiegel den Raum vor dem Film im 45 Grad Winkel durchschneidet und es 1937 noch keine Retrofocusobjektive gibt, gelingt es bei Ausnutzung des Tonfilmformats (wobei die Bildmitte nicht der Filmmitte entspricht), die Objektive so anzuordnen, dass auch die Verwendung der Weitwinkel-Brennweiten bis 28mm möglich wird. Alle Standardobjektive der Kamera haben die Ausgangsblenden-öffnung von F.2.0, die vergleichsweise groß ist. Das Innere des Revolverkopfes ist mattschwarz lackiert. Dadurch wird ein eventueller Lichteinfall durch die nicht benutzten Objektive unterdrückt. Das Kompendium deckt zusätzlich die nicht benutzten Objektive ab. Der Spiegelblendenverschluß ist auf lange Zeitintervalle gesehen nicht lichtdicht.

 

 

Der Schwinghebelgreifer des Arriflex Prototyps
Die Mattscheibe zeigt ein seitenrichtiges, aufrechtstehendes Bild. Über die Betrach-tungslupe des Lupendeckels kann man das Mattscheibenbild mit 6,5facher Vergrößerung betrachten. Das Okular lässt sich im Betrieb +4/ -4 Dioptrien verstellen. Die 60 Meter Kassette wird oben auf die Kamera aufgesetzt, und über drei Zahnrader in der Kassette werden sowohl die kombinierte Ab- und Aufwickelrolle wie auch die Nachwicklung angetrieben. Der 12V-Motor ist als Handgriff im Schwerpunkt der Kamera montiert und erhöht durch seine Kreiselwirkung die Stabilität. Er hat eine Leistungsaufnahme von 24 Watt. Kurzzeitig kann er für ca. 60 m Film auch durch zwei in Serie geschaltete Batterien mit 24 Volt für Zeitlupenähnliche Filmaufnahmen (bis 50 Bilder) belastet werden. Ein Wirbelstrom-Tachometer an der Kamerarückseite mit einer Skala von 0 bis 30 Bildern und roter Markierung der 24 als Normal-Bilderfrequenz ermöglicht das genaue Einstellen der gewünschten Bildfrequenz zwischen 8 bis 30 Bilder pro Sekunde. Der Regulierwiderstand zum Regeln der Bildfrequenz ist im Akkukasten untergebracht.
Bereits zur Leipziger Messe 1937 kündigt Arnold & Richter reichhaltiges Zubehör an, darunter Zusatzobjektive bis 600 mm Brennweite, einen 110V-Motor und eine 120-m-Filmkassette.
Die Spiegelreflexeinrichtung war eine wesentliche Verbesserung. Mit der Einführung von panchromatischen Filmmaterialien war die Filmschicht kaum noch durchsichtig, so daß ein einfaches Scharfstellen auf dem Film nicht mehr möglich war. Lediglich der Bildausschnitt ließ sich noch beurteilen, für die Schärfenkontrolle reichte es jedoch nicht aus. Und schon stand der Farbfilm vor der Tür. Mit seiner undurchsichtigen Schicht verdrängte er dann später alle Kameras, die der Einstellmöglichkeiten auf dem Film bedurften.

Das Getriebe der Arriflex 35 in geöffnetem Zustand

Die Serienfertigung
Der Mechaniker Rudolf Brüller macht sich 1937/38 an die Serienfertigung der Arriflex-Kamera. Das ist eine schwierige Aufgabe, weil die Serienproduktion im Hause Arnold & Richter erst aufgebaut werden mußte. Das Ausfräsen der ersten Sandgußgehäuse ist äußerst schwierig; noch fehlen die richtigen Maschinen. Auch die Kassetten werden im Sandgußverfahren hergestellt. lm März 1938 ist die erste Klein-Serie fertig.

Feinmechaniker Rudolf Brüller 1938 beim Montieren einer Getriebeachse für die erste Arriflex Serie


Fünf Kameras wollte man bauen, ein Gehäuse hatte einen Fehler, so daß zunächst nur vier Kameras fertig wurden. Wohl um der Konkurrenz weniger Einblick zu gewähren, beginnt die Nummerierung ab 500. Die erste Kamera wird am 18. März 1938 an Reimar Kuntz in Berlin ausgeliefert. Die zweite Kamera erhält Herr Jenne, der damalige Arri-Vertreter in Berlin am 29. März. Weitere Lieferungen erfolgen nach lstanbul, Bombay und New York. Bis Jahresende 1938 baut Rudolf Brüller achtzehn Kameras.
Am 23. Oktober 1938 erhält Arnold & Richter ein Patent für die Arriflex 35 Kamera, aber es fällt magerer aus, als man es anfangs erhofft hatte. Bereits am 27. Juli 1913 hatte Anton Aretz aus Stuttgart ein Patent auf eine Spiegelreflexkamera angemeldet, und 1925 ließ sich Dr. Erich von Schubert in Berlin eine Spiegelreflexfilmkamera patentieren, bei der während der Belichtung zusätzlich der Sucher verschlossen wird. Eine Reihe von Patenten auf dem Gebiet der Spiegelreflexfilmkamera gibt es auch im Ausland, vor allem in den USA, doch niemals hat es ein Anmelder fertiggebracht, seine Idee zu realisieren. Alle Patente sind abgelaufen, als Arnold & Richter die Ausführung der Spiegelblende beim Reichspatentamt anmeldet.

Verbesserungen                                                                                                                                                                                                                                               1939 werden die ersten Verbesserungsvorschläge in die Serie eingebracht. Unter anderem wird der Objektivrevolver mit Griffen zum Weiterdrehen versehen, die auf der Rückseite sichtbar für den Kameramann die Brennweite der drei Standardobjektive 30/50/75 mm graviert haben. Später, bei erweiterter Objektivpalette, ersetzt man diese Gravur durch drei Markierungspunkte. Mit den Revolvergriffen kann der Kameramann zur nächsten Brennweite übergehen, ohne dabei versehentlich Blende oder Schärfe der Objektive zu verstellen.
Da die Arriflex-Kamera immer in relativ kleinen Serien produziert worden ist, sind laufend kleine Verbesserungen vorgenommen worden, die sich nicht genau datieren lassen und die sich auch nicht in Änderungen der Modell-Bezeichnung niedergeschlagen haben. Die 60-m-Kunststoffkassette erweist sich in den folgenden Jahren als unzuverlässig. Sie verzieht sich in der Form, und es kommt wegen schlecht passender Deckel zu Lichteinfallen. Obendrein dunstet der Kunststoff Ammoniak aus, was wiederum den Filmträger angreift und zu Schleiern führt. Ab Februar 1941 gibt es nur noch die Aluminiumkassette. Ungefähr 125 Kameras sind bisher ausgeliefert worden.
Mit Lieferbeginn des Modells ll erhält die Arriflex 35 Anfang 1941 einen neuen 12-V-Motor mit integriertem Regulierwiderstand zum Einstellen der Bildfrequenz. Die Kamera ist jetzt kältefest bis -15 Grad.

Die Arriflex im Zweiten Weltkrieg
Das Militär ist in den Jahren bis 1945 Großabnehmer für Arriflex-Kameras. An Privatleute darf kaum noch verkauft werden. ln diesem Zusammenhang soll hier mit einem weit verbreiteten Irrtum und Gerücht aufgeräumt werden: Die Arriflex 35 Handkamera wurde nicht für die Zwecke der Propaganda-Kompanien (PK) entwickelt. Erste Konstruktions-zeichnungen gehen auf das Jahr 1932 zurück.
Der einzige funktionierende Prototyp war erst zur Leipziger Messe 1937 vollständig fertig und wurde nicht - wie irrtümlich zuweilen behauptet wird - bei den Filmen von Leni Riefenstahl »Triumph des Willens<< und »Olympiade<<  eingesetzt. Beim Olympiafilm waren 18 Askania-Kameras im Einsatz, darunter auch die ersten Askania-Schulter-kameras. Möglicherweise waren die Präzisionskugellager für die Spiegelblendenwelle der Arriflex ein Abfallprodukt der Rüstungsindustrie, die nach 1933 schon frühzeitig konsequent aufgebaut wurde.

 PK-Berichterstatter mit Arriflex in Ballon


Das Reichspropagandaministerium hat erst nach Lieferbeginn der Kamera einige Modelle erworben und erprobt. Die PK-Berichterstatter waren zunächst vorwiegend mit der Askania-Z Kamera ausgerüstet und erhielten nur zusätzlich eine Arriflex-Kamera. Bis Ende 1940 wurden ca. 120 Kameras, im Jahre 1941 ca. 320 Stück, 1942 ca. 250 Stück, 1943 ca. 180 Stück und 1944 ca. 140 Stück gebaut. Bis Kriegsende waren das knapp 1000 Kameras.
Obwohl Arnold&Richter nicht Rüstungsbetrieb wird, stellt er doch kriegsrelevante Produkte her. Deshalb wird die Produktion in der kritischen Phase ab 1942 aus München nach Schloß Brannenburg verlagert. Die Zerstörung des Hauptwerkes in der Türkenstrasse am 13. Juli 1944 beeinflußt die Produktion der Arriflex-Kamera nur unwesentlich. Wöchentlich werden fünf Kameras fertiggestellt. PK-Berichterstatter der deutschen Wehrmacht bringen die Kamera in die entferntesten Winkel der Erde, und immer funktioniert sie einwandfrei. Noch heute schwärmen die Kameraleute von damals von ihrer alten »Mühle« mit dem Nagelgreifer, die sie in keiner Situation im Stich ließ.

Zum Teil 3 der Arriflex Story

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