Die Arriflex Story 10

Kameramann Bernd Fiedler 1987 mit seiner Arriflex 35

Der Fan 
Als im September 1966 die Deutsche Film- und Fernsehakademie Berlin nach langem Hin und Her als erste Hochschule in diesem Bereich ihren Lehrbetrieb aufnahm, war Bernd Fiedler einer der 34 ausgewählten Studenten. Zur ersten Generation der Studierenden gehörten auch die Theoretiker und Filmemacher Hartmut Bitomsky, Harun Farocki, Peter Strascheck, die Regisseure Max Willutzki Christian Ziewer, Wolfgang Petersen, Kameramann Jörg Michael Baldenius und auch Holger Meins. Die Anfangsjahre der DFFB waren nicht nur die bewegtesten, sondern auch die fruchtbarsten, denn fast alle Studenten von damals sind heute mehr oder weniger in der Medienszene tätig. Noch während der Hochschulzeit lieferte Bernd Fiedler seine erste Kameraarbeit ab und hat seitdem bei den unterschiedlichsten Projekten hinter der Kamera gestanden, von Kinofilmen über Fernsehspiele und Dokumentarfilme bis hin zum Werbespot. Seine ersten Filme hat Bernd Fiedler mit der Arriflex 35 IIC gedreht, der Standardkamera an der DFFB. Heute besitzt er eine eigene umfangreiche Arriflex-Ausrüstung.
Auf seine 35er Arri läßt der Kameramann auch nach zwanzig Jahren nichts kommen. Hans Albrecht Lusznat unterhielt sich in München mit dem Fan:

Bernd Fiedler während seiner Studienzeit an der DFFB Ender der sechziger Jahre

Fiedler: Die Arriflex 35 ist die einzig richtig gute stumme Kamera, die Arnold und Richter gebaut hat. Alles zusammengenommen ist sie für mich die beste 35-mm-Handkamera, die ich kenne. Sie ist kompakt, vielseitig einsetzbar und liefert vorzügliche Bilder. Sie ist eine Systemkamera mir Spiegelreflexsucher. Obwohl sie komisch aussieht, ist sie sehr ergonomisch, und man kann mit ihr hervorragend aus der Hand drehen.
Frage: Die Technik im Filmbereich macht Fortschritte. Man kann sagen, das Konzept ist für die damalige Zeit sehr fortschrittlich gewesen, hat sich aber im Grunde heute überlebt. Die Kamera hat keinen Sperrgreifer, und der Bildstand entspricht vielleicht nicht den gehobenen Anforderungen?
Fiedler: Das halte ich für einen ausgemachten Unsinn, die Sache mit dem Sperrgreifer. Wir schleppen einen Haufen Technik herum, der nie gefordert wird, außer für Rückproaufnahmen und vielleicht Zeitlupenaufnahmen. Da ist der Sperrgreifer gut, aber das sind zwei Ausnahmebereiche. Im normalen Betrieb sieht man den Unterschied zwischen einer Sperrgreiferaufnahme und einer Arri-35 Aufnahme überhaupt nicht, zumindest dann nicht, wenn die Kopie zwei-, dreimal gelaufen ist. Die Arriflex hat einen sehr guten Bildstand. Der Film soll ja während der Belichtung ruhig stehen, und das hängt nicht nur vom Greifer ab, sonder auch von der Filmführung, der Andruckplatte und der weiteren Führung des Films. Die Sperrgreiferfans, die müssen sich mal klarmachen, daß der Sperrgreifer ein richtiges Mordinstrument ist, das den Film festhält. Ich glaube, der Film ist immer noch am ruhigsten, wenn man ihn in Ruhe läßt, das heißt, überhaupt nicht mit dem Greifer berührt. Man muß überlegen, woraus Filmmaterial besteht. Das ist ein organisches Material, das starken Veränderungen unterworfen ist. Demzufolge arbeitet das Filmbild immer leicht. Ich finde das sympathisch und Freunde des Films verlangen das auch. Das Filmbild steht nicht so sauber wie ein Videobild. Und deshalb ist die ganze Sperrgreifergeschichte ein ziemlicher Blödsinn und kostet einen Haufen Geld. Wenn man die Arri III hernimmt – die ist größer als die IIC – kann man nicht ohne weiteres aus der Hand drehen. Alles dauert viel länger, und man braucht einen kleinen Lastwagen, um die Ausrüstung zu transportieren. Die IIC – so wie ich sie habe – die kann ich selber transportieren. Das ist ein Kamerakoffer und das Stativ. Man sollte nicht vergessen, ein Gerät soll funktional sein, und die Arri IIC ist funktional, damals wie heute. Die Kamera ist heute hochmodern, weil sie eben so klein und kompakt ist. Der Kamerakörper ist ja nur Faust groß. Sie ist schnell, man kann alle modernen Objektive verwenden. Der 35-mm Film hat sich nicht geändert. Man kann auch mit höchstempfindlichen Filmen und High-Speed-Objektiven drehen. Man kann ganz modern arbeiten. Ich kann mit der Kamera losziehen, beispielsweise aufs Oktoberfest, und Zwischenschnitte für einen Spielfilm drehen. Wenn man das mit einer Arri III versucht, dann braucht man einen Lastenträger.
Frage: Man kann das Material der IIC auch bedenkenlos mit allem anderen mischen?
Fiedler: Das ist überhaupt kein Problem. Die Freunde des Sperrgreifers müssen ehrlich zugeben, wenn man sie fragt, daß sich wohl noch kaum ein Zuschauer über den Bildstand bei einer IIC beschwert hat. Ich bin sicher, man kann sie alle mit einer Probevorführung aufs Kreuz legen, in der man Material mit und ohne Sperrgreifer durcheinander mischt. Das Fimmaterial ist mechanisch und physikalisch gesehen eine ganz unzuverlässige Sache. Man sollte nicht mit überpräzisen Geräten daran gehen. Das gibt nur Ärger, und moderne unheimlich präzise Kameras nehmen manches Material nicht an. Die Arri IIC entspricht vielmehr dem Filmmaterial in all seinen Eigenschaften. Wir arbeiten immer noch mit dem Sicherheitsfilm, der seit 50 Jahren vom Träger her nicht verändert worden ist. Warum sollte man dann eine Kamera verändern, die damals optimal für dieses Material entworfen wurde. Die haben doch damals auch gewußt, wie man Filmkameras baut.

Dreharbeiten mit der Arriflex IIC zu dem Hochschulfilm "Ich nicht". Am Auto lehnt Wolfgang Petersen, Links von der Kamera Jörg Michael Baldenius, rechts von der Kamera Bernd Fiedler


Frage: Wäre die Kamera für dich auch ein Ersatz für die Studiokamera? Man hat ja im Studio immer große Kameras benutzt und bis 1953 in Deutschland kaum einen Spielfilm mit der Arri gedreht.
Fiedler: Als ich angefangen habe zu drehen, war die Arriflex die Standard-Kamera bei 35mm. Die Spielfilme, die ich gedeht habe, sind alle mit der Arriflex gedreht. Mit der IIC und später mit der BL. Bei Originalton war das früher überhaupt keine Entscheidung, da wurde die IIC in den Blimp gepackt, und da war sie auch ruhig. Wir haben mit dem Blimp trotz seines Gewichts zügig arbeiten können. Die Entscheidung, O-Ton oder nicht, bedeutet heute auch eine Entscheidung für eine bestimmte Kamera. Wenn Stumm gedreht wird oder mit Primärton, dann würde ich auf alle Fälle die IIC einsetzen, beispielsweise bei „Ass der Asse“, da habe ich Second Unit gemacht und alles mit der IIC gedreht. Man kann mit der IIC im Studio jede Aufgabe gewältigen. Die Vorzüge der Handkamera kommen da zum Tragen. Am Originalmotiv ist es meistens eng. Ein Elefant von Kamera versperrt dann die ganze Gegend. Dieses Problem gibt es bei der IIC nicht. Sie ist eine vollwertige Aterlierkamera. Auf dem Sachtlerkopf läßt sie sich prima dirigieren, und auf dem Kran oder auf dem Elemack hat man weniger Gewicht. Da ist sie eine kleine, nette, handliche Begleitung. Es ist ein rechtes Problem, die 35 BL auf ein Steadicam zu bauen.
Frage: Bei den Verleihern ist die Nachfrage nach der Arri IIC sehr zurückgegangen
Fiedler: Da spielen psychologische Momente eine wichtige Rolle. Ein bekannter Kameramann, mit gutem Ruf, der soll einen Spielfilm fotografieren und ordert eine Arri IIC. Er nimmt sich da einiges auf die Schulter. Der Produzent fragt sich nachher, was ist denn das für ein Ding? Da stellt er sich lieber eine Moviecam an den Drehort, das sieht toll aus, und die Mannschaft bekommt gleich zehn T-Shirts. Es gibt auch Kameraleute, die wagen nicht auf Agfa oder Fuji zu drehen, weil sie Angst haben, daß sie der Produzent nachher am Wickel kriegt. Da sagen die von vornherein einfach Eastman. Die Fachwelt weiß, daß die Arri vom Konzept her eine alte Kamera ist. Eine Anzahl Kollegen scheut sich bestimmt, die Kamera einzusetzen, einfach um nicht in den Ruf zu kommen, altmodisch zu sein. Es wollen ja alle furchtbar modern sein. Ich kann aber Kollegen trösten: wenn man heute mit einer 35 IIC irgendwo auftaucht, da hat man sein Publikum. Die Leute sind begeistert von diesem Gerät, wenn sie hören, daß es auch noch funktioniert. Es ist ja eine tüchtige Maschine, das sehen alle gleich, und es rattert ordentlich. Das schafft Vertrauen. Ich habe neulich einen Werbefilm damit gedreht für eine Produktion, die bisher nur Elektronik gemacht hatte. Die Chefs sind persönlich ins Studio gekommen und haben sich die Kamera angeguckt und durchgeschaut. Der Film ist sehr gut geworden, und es hat sich auch keiner über den Bildstand beschwert.
Ich bin recht verliebt in die Kamera. Ästhetisch gesehen ist sie ein schönes Objekt. Die Arri IIC sieht ein bißchen altertümlich aus. Ich finde sie zeitlos. Sie ist weder besonders schön noch besonders häßlich. Denen ist damals vom Design her schon ein Wurf gelungen, sehr zeitlos. Ich habe mich an sie gewöhnen müssen, und jetzt spielen natürlich auch Gefühle eine Rolle, aber die Gefühle sind entstanden durch eine lange Praxis, durch einen langen gemeinsamen Weg mit diesem Modell, denn ich habe ja fast alles, was ich auf 35mm stumm gedreht habe, mit der Arri IIC gemacht. Eine Sache sollte man nicht unterschätzen. Natürlich muß ein Kameramann sich wohlfühlen mit einem bestimmten Gerät und das ist so eine Art Liebesbeziehung. Und wenn ein Kameramann mit einer bestimmten Kamera nicht kann, dann heißt das nicht, daß die Kamera schlecht ist oder der Kameramann, das kann nur sein, daß die beiden nicht zusammenpassen, das ist keine Schande.
Frage: Die Sucherheizung, die großen Suchereinblicke mit Zoom, die Leuchtrahmensucher bei den modernen Kameras, sind das nicht alles Vorteile, die das Arbeiten sehr angenehm machen?
Fiedler: Ich halte mich für einen sehr fortschrittlichen Menschen und habe auch einen CD-Player hier stehen. Ich bediene mich moderer elektronischer Dinge und stehe auch der Videoentwicklung positiv gegenüber. Was man an der Arri IIC verbessern konnte, war der Motor. Der Quarzmotor kann alles, was früher drei Motore konnten und dabei braucht er nur die Hälfte Strom. Schlecht ist die oben aufgesetzte Kassette in engen Dekorationen. Da hat Gerhard Fromm Abhilfe geschaffen mit seiner Actionkassette. Man dreht ja nicht immer nur im Auto oder U-Boot, und für den normalen Betrieb ist die normale Kassette gut. Eine Heizung fürs Okular wäre praktisch.
Frage: Gab es je mit der Kamera Probleme?
Fiedler: Bei der 35 IIC habe ich eigentlich nie Probleme gehabt. Bei extremer Kälte ist die obere Schleife problematisch. Sie kann brechen, weil sie sehr eng ist. Menchanisch habe ich nie Probleme gehabt.
Frage: Hat sich der Objektivrevolver überlebt?
Fiedler: Bei 16mm halte ich den Objektivrevolver für überholt. Da gibt es Zoomlinsen, die Fixobjektivqualität haben. Bei 35 mm ist es noch nicht soweit. Es gibt Zooms, die Fixlinsenqualität erreichen, die haben aber Nachteile, die sind im Brennweitenbereich beschränkt, oder sie sind so groß, daß man nicht mehr aus der Hand drehen kann. Insofern halte ich den Revolver heute noch für eine ganz wichtige Sache, solange wir keine Zoomlinsen haben, einen handlichen 10fach Zoom von 18-180 oder 25 -250 mit einer Blendenöffnung von 2.8. Den müßten wir haben. Er muß aber so handlich sein, daß man ihn mit einer kleinen Stütze an die Kamera machen kann. Solange das nicht der Fall ist, ist der Revolver eine ganz zeitgemäße Sache. Ich setze mein 25er drauf, ein 40er, ein 75er. Damit komme ich, ironisch gesagt, durch einen Spielfilm. Diese Rumzoomerei und Objektivwechselei finde ich nicht toll. Ich möchte an die Regisseure erinnern, die ihre Filme mit einem Objektiv machen. Bresson nimmt immer das 50er, Uzo hat immer das 50er genommen. Das Schafft eine Einheit des optischen Raumes beim Film, die hat etwas für sich. Man kann sich viel mehr auf den Film konzentrieren. Man sollte den Revolver noch nicht abschaffen. Außerdem hat man die Objektive immer dabei, sie stecken nicht in einer Kiste oder in irgendwelchen Taschen.

Bernd Fiedler bei Dreharbeiten zu einem Studentenfilm mit der Arriflex

Frage: Du hast auf der Filmhochschule in Berlin studiert, und hast dort angefangen Kamera zu machen. 1966. Da ist diese Kamera, weil sie ökonomisch ist, sehr viel auch für Spielfilme eingesetzt worden. Hat sie irgendwie den Film mit verändert, die Filmarbeit?
Fiedler: Das ist tatsächlich so. Mir fällt jetzt als Beispiel ein Fernsehspiel ein, das wir 1970 auf 35mm fürs ZDF gedreht haben, „Rocker“ von Klaus Lemke. Wenn man den Film anschaut, da fällt einem schon auf, wie rasant bewegt das ganze Bild ist. Das geht nur mit einer Arriflex. Der Klaus Lemke dreht sehr spontan. Er läßt einen gar keine Zeit, das Gerät aufzubauen. Wir sind durch die Stadt gefahren, er sieht etwas und sagt: „Halt an, dreh das!“ Das kann man nur mit so einer Kamera machen. Lemke hat spontan Szenen inszeniert. Wir haben in Hamburg an einer Endhaltestelle gedreht. Dort war ein Steigerwagen, und die Männer machten gerade Brotzeit. Lemke wollte gerne einen Schuß von oben haben. Das war mit 20 Mark gemacht. Ich bin da rein geklettert, habe von oben eine wunderbare Aufnahme gemacht, aus der Hand. Das ist in ein paar Minuten erledigt gewesen, länger hätten die gar nicht mitgemacht. Wenn wir mit einer großen Kamera gekommen wären, dann hätten die Leute abgewinkt und gesagt, das können wir nicht machen.
Frage: Hat das auch mit der Zeit damals zusammengehangen? Zur Zeit gibt es den Trend zu großen Aufbauten, zum Studio, zu riesiger Technik.
Fiedler: Wir sind momentan in einer stinkrestaurativen Zeit. Es werden die großen Langweiler gedreht, mit teurem Gerät und teuer Ausstattung. Alles muß unheimlich teuer sein. Das Beispiel „Rocker“: Das hing nur bedingt mit der Zeit zusammen. Man hat sehr bewegt gedreht, und es war die Aufbruchstimmung. Es lag aber auch am Regisseur, der Klaus Lemke dreht einfach so. Ich habe auch schon ruhige Regisseure davon überzeugt, daß der Einsatz der Handkamera gut im Spielfilm sein kann. Man kann die BL 35 auch auf die Schulter nehmen, aber bei den anderen Geräten ist das schon gefährlich. Die bewegte Art zu drehen wird es immer geben. Die wird wieder kommen, die gibt es auch noch, trotz dieser steifen altväterlichen Art, die jetzt bevorzugt wird. Man wird diese Kamera noch brauchen.

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