Alltag eines Zeitungsfotografen in den 70er Jahren

01. Januar 2012


Erhard Beier mit seiner Nikon F2

Im April 1974 habe ich einige Tage den Fotografen Erhard Beier bei seiner alltäglichen Arbeit begleitet und fotografiert. Er war damals für die Lokalredaktion der Rheinischen Post in Krefeld tätig. Die Arbeit teilte er sich mit dem Kollegen Schmaling, der ebenfalls für die Rheinische Post fotografierte. Es gab noch zwei weitere Zeitungen in Krefeld, die Westdeutsche Zeitung (WZ) und die Neue Rhein/Ruhr Zeitung (NRZ), für die zur damaligen Zeit Rudolf Brass tätig war. Für die WAZ arbeitete Axel Gayk, der später als Bildredakteur bis 2002 fest angestellt war. Brass und Gayk haben in ihren aktiven Jahren schätzungsweise je 1,5 Millionen Fotos aufgenommen. Die Bilder von Rudolf Brass sind im Krefelder Fotoarchiv im Netz einsehbar und die von Axel Gayk gehören inzwischen dem Krefelder Stadtarchiv und sollen dort in einer Auswahl verfügbar werden. Erhard Beier habe ich nicht mehr aufspüren können.
Ich habe in den drei oder vier Tagen mit Erhard Beier 10 Filme (360 Fotos) gebraucht und mit zwei Leica-M Kameras gearbeitet; deshalb lässt sich die Reihenfolge der Geschichten nicht mehr eindeutig rekonstruieren, weil die Negative der einzelnen Geschichten auf verschiedenen Filmen auftauchen.

Die Aufnahmetechnik

Erhard Beier hat mit einer Nikon F2 Photomic Spiegelreflex Kamera und einer Leica M2 Messsucherkamera gearbeitet. Für 6x6 Fotos gab es auch noch eine doppeläugige Mamiya Reflexkamera. Fotografiert hat er auf Kodak Tri-X S/W-Negativfilm, der von einer 17 Meter Rolle mit einem Deutgen Füllfix selbst in Kleinbildpatronen konfektioniert wurde. Die 1,60 Meter Streifen wurden auf einen Rahmen gewickelt und in einer Kindermann Filmtankanlage für 6 beziehungsweise 10 Liter Füllmenge entwickelt und nach der Wässerung auf einer Wäscheleine getrocknet. Für die schnelle Arbeit war ein Handföhn verfügbar.
Alle Fotografen haben zur damaligen Zeit ihre Negative nach Gebrauch in die leeren Kodak Filmdosen gelegt und mit Jahreszahl und Datum beschriftet. Wichtige Bilder, die eventuell öfters wieder gebraucht wurden, schnitt Erhard Beier aus und steckte sie in Pergaminhüllen, die in einem Aktenordner abgeheftet wurden.

Ein Arbeitsplatz mit Füllfix Filmlader, Negativstreifen und Filmdosen.

Die Arbeitsräume

Die Redaktion der Rheinischen Post war in Räumen in der St. Antonstrasse Nr.23 untergebracht. Für die Fotografen gab es zwei Arbeitsräume, ein Büro mit zwei Schreibtischen, einem Arbeitstisch und einem Schreibmaschinen Platz und einem Archivschrank. In diesem Raum wurden die Negative archiviert, die Filme konfektioniert und alle Büroarbeit erledigt.


 

Erhard Beier in dem Arbeitszimmer der Fotografen und bei der Durchsicht eines Archivordners

Das Fotolabor hatte einen Trockenarbeitsplatz mit zwei Vergrößerern und einer Entwicklungsmaschine auf der linken Seite. Auf der rechten Seite des Raumes befand sich ein Naßarbeitsplatz von Meteor mit den Entwicklungsschalen. Dahinter war der Wässerungstank der Kindermann Tankanlage. In der hinteren rechten Ecke des Raumes war eine extra Dunkelkammer für die Filmentwicklung abgetrennt, in der sich die Kindermann Tankanlage befand.
Als Vergrößerer gab es einen Leitz Focomat 1c für Kleinbildfilme und einen Agfa Varioscop mit Wechsel-Objektiven, der für Kleinbild und auch für Rollfilm nutzbar war. Gearbeitet wurde auf Ilford Fotopapier und um die Geschwindigkeit zu steigern, war eine Durchlaufentwicklungsmaschine von Ilford vorhanden, die mit zwei Bädern auskam und ein fixiertes Bild ausgab, das noch gewässert werden musste.
Die Vergrößerungen entstanden ungefähr im Maßstab 1:1 und waren schon auf das entsprechende Layout konzipiert. Sie wurden dann noch mit einer Hebelschneidemaschine auf den richtigen Ausschnitt beschnitten.


Entwicklungsrahmen der Kindermann Tankanlage.   Arbeitsplatz mit Agfa Variomat Vergrößerer.

 

Die Inszenierung

Zeitungsfotos sind in den 70er Jahren recht grob geraster gewesen und waren im Druck deutlich schlechter, als man es von unseren aktuellen Tageszeitungsdruck kennt. Zeitungsfotos mussten schon deshalb klar im Aufbau und in der Aussage sein. Deshalb haben die meisten Fotografen ihre Bilder arrangiert beziehungsweise inszeniert. Schätzungsweise 70% der Aufnahmen waren gestellt, erinnern sich Brass und Gayk im Rückblick auf ihre Arbeit.

Erhard Beier inszeniert Helene Vogles beim Anzünden einer Gaslampe (siehe weiter unten)

Das Abschneiden

Das Abschneiden war eine beliebte Methode, um bei Fototerminen überflüssige Prominente von den Bildern zu verbannen. Der Oberbürgermeister, in der damaligen Zeit war es der Bäckermeister Hans Heinz Hauser, hatte oft mehrere wichtige Termine an einem Tag und war bei mehreren Fototerminen  anwesend. Da man ihn nicht mehr als einmal in der Zeitung haben wollte, musste er sich beim bestimmten Prominenten-Foto an den Rand stellen und die wichtigen Personen standen in der Mitte. Für den Zeitungsdruck konnte man ihn dann auf der Vergrößerung abschneiden. Manche von den Prominenten kannten dieses Prozedere und stellten sich gleich von selbst an den Rand der Personengruppe, um es den Fotografen einfacher zu machen.

Erhard Beier beim Beschneiden der Vergrößerungen

Die Menge

Im Durchschnitt belichtete jeder Fotograf der Lokalredaktionen 2 bis 3 Filme am Tag. Die Anzahl der Termine lag in den 70er Jahren zwischen drei und fünf und erhöhte sich zum Jahr 2000 auf bis zu 15 Terminen pro Tag.
Auf seiner großen dreijährigen Asienreise 1947 hat Henri Cartier Bresson ungefähr 850 Filme verbraucht* (30.600 Fotos). In diese Zeit fiel auch der Tod von Gandi und die Revolution in China. Heute macht mancher Fotograf bei Sportereignissen am Wochenende 5000 Bilder und braucht zur Auswahl Softwareunterstützung. (*Henri Cartier Bresson von Pierre Assouline, Göttingen 2003, Steidl, S247)

Die Storys

In den Tagen, in denen ich Erhard Beier begleitet habe, fotografierte er sehr unterschiedliche Geschichten. Bei elf verschiedenen Terminen war ich dabei. Ich hatte nur einige wenige Zeitungsausschnitte vom Abdruck aus der damaligen Zeit und habe deshalb im Krefelder Stadtarchiv den Lokalteil der Rheinischen Post von April und Mai 1974 durchsucht. Von den elf Terminen wurden 6  Fotos beziehungsweise Fotogeschichten publiziert, auch nicht immer direkt aktuell am nächsten Tag. Die erschienenen Geschichten entsprechen auch nicht unbedingt dem Gesamtdurchschnitt der anfallenden Arbeiten. Unter den sechs publizierten Geschichten gibt es zwei Reportagen mit mehreren Fotos, einmal mit drei und einmal mit zwei Bildern. Bei vier Geschichten war Erhard Beier allein vor Ort und lieferte auch gleich die Recherche für den Text, indem er sich Namen und Details notierte. Wie weit er an der Textgestaltung der Bildunterschriften beteiligt war, weiß ich nicht, denke aber, daß dies letztlich in den Kompetenz eines Redakteurs fiel.

1. Story
Rheinische Post Nr.89 vom 17.04.1974 / Junge fand die tote Nachbarin.

2. Story
Rheinische Post Nr.89 vom 17.04.1974 / Aus den Schienen

3. Story
Rheinische Post Nr.90 vom 18.04.1974 /  Licht aus der Gasflasche

4. Story
Rheinische Post Nr. 96 vom 25.04.1974 / Gemüsebau nach Art des Hauses

5. Story
Rheinische Post Nr. 96 vom 25.04.1974 / Im Malwettbewerb

6. Story
Rheinische Post Nr. 102 vom 03.05.1974 / Die niedlichen Enten

 

1
Tragödie in der Vereinsstraße
Junge fand die tote Nachbarin
Ehemann schwebt noch in Lebensgefahr
Von unserem Redaktionsmitglied Wolfgang Dieling
Gestern erst meldete die Kriminalpolizei, was ihr bereits seit dem Samstag bekannt war: „Bewohner eines Hauses auf der Vereinsstraße benachrichtigten die Polizei, weil seit Tagen ein im selben Haus wohnhaftes älteres Ehepaar nicht mehr gesehen worden War. Nach Öffnen der Wohnung wurde die 67jährige Ehefrau tot aufgefunden. Der 74 jährige Ehemann lebte noch, war allerdings ohne Bewußtsein und wurde sofort den Städtischen Krankenanstalten zugeführt. Sein Zustand ist unverändert ernst.“ Anhaltspunkte für ein Fremdverschulden gäbe es nicht. Die Ermittlungen dauerten noch an, noch ungeklärt seien die Ursachen des Todes der Frau und der Erkrankung des Mannes.
Abgedruckt auf der ersten Seite des Lokalteils mit drei Fotos.

 


2
Aus den Schienen sprang gestern kurz nach 15 Uhr Motorwagen und Anhänger der Straßenbahnlinie vier….

Erhard Beier trifft hier den Kollegen Rudolph Brass, der für die NRZ ebenfalls Fotos von dem Straßenbahnunfall macht.

Vergrößerung des Straßenbahnunfalls im Labor


3
Idylle an der Elfrather Mühle:
Licht aus der Gasflasche
Von Klaus Peter Kühn

Inmitten der Wiesen und Felder rund um die Elfrather Mühle steht einsam und allein ein zweistückiger Ziegelbau; der Schmuckstein über der Eingangstür datiert das Entstehungsjahr auf 1906. Was der Besucher von außen aber nicht sehen kann, ist die höchst kuriose Tatsache, daß das Haus von jeglicher Energieversorgung abgeschnitten ist. Wie zu Großvaters zeiten gibt es weder Strom noch Gas. Diese winzige Insel in unserer technisierten Welt ist aber durchaus lebensfähig, statt Steckdose und Lichtschalter gibt es Propangasflaschen und Bleiakkus.
Erst bei genauerem Hinsehen bemerkt man das Fehlen von Glühbirnen in den Deckenlampen, statt dessen hängt an der entsprechenden Stelle ein Glühstrumpf – in punkto Leuchtkraft stehen diese Gaslampen den „Konventionellen“ keineswegs nach. Den „Saft“ für die Lampen und den Gasherd in der Küche liefert eine Propangasflasche, die über Leitungen das ganze Haus versorgt.
Helene Vogels, die seit 1928 – erst mit ihrem Mann und jetzt mir ihrer Schwägerin Anna Merks – das haus bewohnt, hat sich längst mit dieser „privaten“ Energiekriese abgefunden. Ein Anschluß an das Stromnetz, so erinnert sie sich, hätte schon im jahre 1933 über 8000 Mark gekostet.
Aber es sind die kleinen Dinge des Lebens, die die Bequemlichkeit ausmachen – und elektrisch sind. So muß das Bügeleisen – ein außer Dienst gestelltes elektrisches exemplar – auf dem Herd aufgeheizt werden, bis es in Aktion treten kann.
Mit Erfindergeist läßt sich also einiges ausgleichen; Helene Vogels meint schmunzelnd dazu: „Man schickt sich drein. Aber wenn ich wüßte, daß wir nächste Woche Strom bekämen, hätte ich noch heute eine Waschmaschine!“
Auf das Fernsehen brauchen si und Schwägerin Anna Merks allerdings nicht zu verzichten: Das Fernsehgerät ist an einen Akku angeschlossen, der dafür sorgt, daß Herr Köpke auch an der Elfrather Mühle vom Bildschirm lächeln kann.
Ihre Romane liest Anna Merks am liebsten in ihrem Sessel bei Kerzenlicht; sind aber abends alle Gaslampen und Kerzen gelöscht, steht stets eine Taschenlampe griffbereit, denn einen Lichtschalter gibt es ja nicht…
An das Leben ohne Stromrechnung haben sich die beiden Frauen inzwischen gewöhnt, aber seit Weihnachten muß täglich das Wasser gebracht werden, wie anderswo die Milch oder die Brötchen. Dem hauseigenen Brunnen hat die nahegelegene Zeche in Kapellen im wahrsten Sinne des wortes  „das Wasser abgegraben“. Der Grundwasserspiegel ist so gesunken, daß die handbetriebene Pumpe im Haus nicht mehr genug Saugleistung hat. Abhilfe könnte nur eine Elektropumpe schaffen.

 

Unter dem Artikel wird fälschlicher Weise der Kollege Schmaling als Fotograf genannt. Das Haus an der Elfrather Mühle 148 gibt es noch heute, es liegt gegenüber den neuen Hauptgebäuden um die Mühle am Rande des Golfplatzes. 1974 war das Haus nur von Feldern umgeben und die Mühle war mehr oder weniger eine Ruine.
Wir hatten uns an der Mühle mit dem Autor der Geschichte getroffen und sind dann zum Haus hinüber gegangen, weil die beiden alten Damen wahrscheinlich kein Telefon hatten; es gab eine längere Verhandlung an der Tür, dann wurden die Fotos im Garten mit dem vertrockneten Brunnen gemacht. Anna Merks musste dabei, wie es bei Zeitungsfotos oft üblich war, auf den Brunnen zeigen, der als solcher nicht wirklich zu sehen war. Diese Art der Fotos hat Jürgen Schadeberg als die sogenannten „Pointers“ bezeichnet, Fotos auf denen Menschen zu sehen sind, die auf irgendetwas zeigen.

 

Verhandlung an der Haustür, Erhard Beier zeigt seinen Presseausweis.

 

Nach den Außenaufnahmen ging es im Haus mit den Bildern vom Anzünden der Gaslampe weiter. Jetzt musste Helene Vogels agieren, zunächst in einem Zimmer im Obergeschoss, dann in der Küche. Es musste auch demonstriert werden, daß aus der Pumpe neben der Küche kein Wasser mehr fließt.

 

 

4
Gemüsebau nach Art des Hauses zeigt der Lehr- und Beispielsbetrieb der Landwirtschaftskammer Rheinland, Krefeld Königshof, an der Kölner Straße. Am kommenden Samstag sind Interessenten zum „Tag der offenen Tür“ eingeladen, der zusammen mit dem Folientag veranstaltet wird. Innerhalb der Besichtigungszeit zwischen 10 und 17 Uhr finden drei Filmvorführungen und Demonstrationen des Gemüseanbaus statt. Für Besichtigungsgruppen wird ein Dokumentarfilm mit dem Titel „Früher reif und zart“ gezeigt. Unser Bild zeigt unter Folie angebaute Kohlrabi. RP-Foto: Beier

 

 
5
Im Malwettbewerb des Filmtheaters „Atrium“ anläßlich des Films „Räuber Hotzenplotz“ gewann Birgit Rassmes (links) den ersten Pries. PR-Foto: Beier

 

Erhard Beier fotografiert die Gewinner und macht sich Notizen für den Text.


 

6
DIE NIEDLICHEN ENTEN aus Bronze und das nicht immer ganz saubere Wasser des Brunnens auf dem Schwanenmakrt haben es den beiden angetan, jedoch nicht so sehr, daß sie daran denken würden, ein Entchen zu stehlen, wie das schon häufig geschah. Der hübsche Jugendstilbrunnen, einer der wenigen Brunnen, die die Baumaßnahmen der letzten Jahrzehnte überlebt hat, führt zur Zeit vor der Kulisse des Sanierungsgebietes Poststraße ein etwas kümmerliches Dasein. PR-Foto Beier

Bei dieser Geschichte ging es um das Sanierungsgebiet Poststrasse und Erhard Beier hat sowohl den Brunnen, wie auch ein daneben aufgebautes Fahrgeschäft fotografiert.  Auf die beiden Kinder ist er zufällig gestoßen. Später hat er dann am Neumarkt den Kollegen Rudolf Brass getroffen und mit ihm Informationen ausgetauscht.

 

 

Die nicht veröffentlichten Storys:

Zu den nicht veröffentlichten Geschichten gehörte ein Fototermin in einer Baugrube in der Nähe des Hauptbahnhofs, eine Geschichte von Dachdeckern, die Müllabfuhr und ein Besuch am Rhein, wahrscheinlich an der Stelle, wo der Yachthafen hin sollte.

Baustelle

 

 

Dachdecker

 

Müll
Auf diesen Fotos taucht noch ein zweiter Mann auf, der fotografiert, aber dabei kann es sich um einen Mitarbeiter der Müllabfuhr handeln, der extra zu diesem Termin gekommen war.


Rhein
Hier ging es wahrscheinlich um eine Geschichte über den Jachthafen am Rhein.


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