Anmerkungen aus dem Alltag als Kameramann

21. Februar 2017

Meinen ersten Film als Kameramann habe ich 1976 gedreht, auf 35mm. Er ist dann 1977 in Oberhausen auf den Kurzfilmtagen gelaufen, aber außer einer Teilnahme-Urkunde zum an die Wand hängen blieb er bedeutungslos. Danach habe ich noch sehr viele Filme als Kameramann gedreht und irgendwann damit begonnen, Alltagsbeobachtungen aus dem Berufsleben aufzuschreiben. Sie sind vor 20 Jahren 1997 im Film&TV Kameramann erschienen, zu einer Zeit, als das Internet im audiovisuellen Bereich noch keine wichtige Rolle gespielt hat und das Smartphone noch nicht erfunden war. Dennoch sind viele Dinge weiterhin gültig.

 

Amerika

In Amerika ist alles viel größer und viel schöner; das gilt zumindest für das Kino, denn wer in großen Räumen mit anderen Brennweiten arbeiten kann, bekommt andere Bilder. Da können wir uns hier auf den Kopf stellen auch wenn wir mal Türen aushängen und in den verrücktesten Positionen arbeiten.

 

Ansichtskassetten

Heute will jeder was sehen, bevor er einen Kameramann engagiert. Das ist sein gutes Recht. Bei der Übergabe der Kassetten schaue ich in ein verhärmtes Gesicht, eine Frau, bei der sich eingeprägt hat, dass es wenig Freude im Leben gibt. Sie soll einen Film über Tanz machen. Tage später dann holt sie am Telefon zu einem Rundumschlag aus. Der eine Film sei ja nur innen, der andere sei ja nur Archivmaterial und der dritte, den habe nur ihr Mitarbeiter gesehen, der sei ja so ein Kunstfilm: drei Arbeiten, davon zwei 90 Minuten Filme die im Kino gelaufen sind und doch einige Leute begeistern konnten.

Erst später ist mir aufgegangen, welchen Fluch das Zusammentreffen von Ansichtskassetten mit phantasielosen Menschen erzeugt. Die wollen wie im Kaufhauskatalog das sehen und bestellen, was sie für ihr Projekt brauchen. Filmemachen ist dann kein Schaffensprozess mehr, bei dem etwas Neues entsteht, sondern nur mehr die Reproduktion bekannter Formen in neuen Zusammenhängen.

 

Ausschuß

In Mecklenburg Vorpommern, am Kummerower See - ein Ausflug eines Lehrerkollegiums in der noch DDR. Reumütig outen sich die ehemaligen Staatskundelehrer vor der Kamera und labern sich um Kopf und Kragen. 100m Film sind bei einem nichtssagenden Interview durchgelaufen; nach einer kurzen Verständigung mit dem Regisseur öffne ich die Kassette, trenne die Rolle - die Gesprächspartner sitzen immer noch ganz rührseelig in ihren Positionen - und werfe das belichtete Material in die Mülltonne. Ausschuß und Schadensbegrenzung.

 

Autos

Von den Autos muß man nicht erst sprechen, sie sind ärgerlich, überall wo man sie abgestellt antrifft. Einmal habe ich einen schönen Schwenk durch eine winterliche Landschaft gemacht, motiviert durch die einsame Fahrt eines knatternden Trabis, aber das ist eine Ausnahme. Autos stören fast immer, selbst das eigene, das dann immer im falschen Augenblick im Bild ist, weil sich ja manchmal die Handlung anders entwickelt, als geplant.

 

Belehrung

Inzwischen kann ich sie schon wie ein Polizeibeamter herunter beten, die Belehrung zur filmmäßigen Vernehmung, sprich Interview: Alles was sie jetzt sagen, sprechen sie zum Interviewer, und zwar nur zum Interviewer, nicht zum Tonmann, nicht zum Assistenten, nicht zum Kameramann. Bitte binden sie die Frage in die Antworten mit ein, und antworten sie im ganzen Satz, wenn ich also Frage, wie ist das Wetter heute, sagen sie nicht gut, sonder sagen sie das Wetter ist heute gut. Sagen sie nie, wie ich bereits gesagt habe, lassen sie genügend lange Pausen für den Schnitt, bohren sie nicht in der Nase und starren sie nicht aufs Mikrofon.

 

Bezahlen

Bisher habe ich immer Glück gehabt und bin keinem Betrüger oder faulem Kunden aufgesessen, ausgenommen dem Münchner Produzenten Hans W., der mir immer noch etwas über 1000 DM schuldet und der Ausreden nicht müde wird, sie mir auch weiterhin vorzuenthalten. Da entwickelt er ein ungeheuer kreatives Potential an Ausreden, das er besser in seine Projekte stecken sollte. Aber wo hat er es her?

Die Zahlungsmoral der Fernsehanstalten ist auf dem tiefsten Niveau angelangt. Da treffen Gelder erst lange nach der Ausstrahlung ein oder Verträge erst nach Drehbeginn und die Ausreden sind unglaublich dumm. Weil die Sekretärin schon heimgegangen ist, kann ein Produktionschef keine Auftragsbestätigung schicken, Schriftstücke und Zahlungsanweisungen kreisen Wochenlang in Briefkästen, Ablagen, Eingangs- und Ausgangskörben, oder schlicht nur in der Post, wenn gar keine andere Erklärung mehr zieht.

 

Cutter

Der Cutter ist der natürliche Feind des Kameramanns und es gibt eben solche, mit denen liefere ich mir entsprechende Wortgefechte, wenn wir uns auf den Fluren der Produktionsfirmen begegnen. Anfangs habe ich mir von Cuttern Anregungen für die Verbesserung meiner Arbeit erhofft. Inzwischen weiß ich, daß ich am längeren Schwenkhebel sitze und viel mehr bestimmen kann, um einer allgemeinen Beliebigkeit vorzubeugen. Wenn ich keine Zwischenschnitte drehe, dann nehme ich dem Cutter und Regisseur die Möglichkeit der primitiven Verlegenheitslösung.

Cutter haben auch keine Hemmungen, schlechte Bilder in einen Film zu schneiden, wenn es dem Fluß der Aneinanderreihung hilft. Das ist so, als wenn ein Koch schlechte Zutaten in den Topf schmeißt, nur um ihn voll zu bekommen und den Anforderungen des Rezeptes zu genügen. Es gibt aber auch Meister des Faches, die bauen den vermeintlichen Abfall gewinnbringend in einen Film ein.

 

Erster

Es gibt diese lustigen kleinen Windkörbe für das Mikrofon der Beta-Camcorder. Sie sehen einfach sehr professionell aus und weil sie von einer Firma sind, die schon Erfahrung hat, lege ich mir auch so ein Ding zu; das Beste ist gerade gut genug, das kostet halt etwas.

Meine Kamera war eigentlich immer sehr ruhig und weil ich eines Tages Verdacht schöpfte, ziehe ich diesen kleinen Windkorb ab: und siehe da, das Laufgeräusch ist im Kameramikrofonton weniger stark zu vernehmen, wenn der Windschutz runter ist. Also denke ich mir als technisch versierter Mensch, weil der Windschutz am Sucher anstößt überträgt er den Körperschall auf das Mikrofon. 250 Mark kostet eine neue Mikrofonhalterung und das Problem bleibt das gleiche. Nun setzen die Tests ein. Hält man das Mikrofon neben die Kamera, dann überträgt es das Laufgeräusch bei aufgesetztem Windschutzkorb ebenfalls lauter. Der Korb wirkt wie ein Resonanzboden für das Laufgeräusch.

Der Verkäufer schreit, das kann nicht sein, und als er es dann vorgeführt bekommt, hat er für mich wenigstens einen Trost, den ich schon hin und wieder höre: Sie sind der Erste, der sich beklagt, schließlich haben wir von den Dingern schon so viele verkauft.

 

Film

Geliebter 16mm Film, wie machst du mir manchmal das Leben schwer.

Gut, er kommt hier aus dem Haus und geht in den Schuppen rüber.

Nächste Szene im Schuppen innen. Kassettenwechsel von 7245 auf Vision 500; der Koffer steht dahinten, gelbes Band aber extra Aufkleber für High Speed, Vorsicht nicht verwechseln!!!, Kassetten Schlaufe kontrollieren,  ansetzen richtig einrasten, Lasche oben darf nicht aufstehen, Schleichgang drücken bis Greifer einrastet, Filterhalter raus, ND 0.6 rausnehmen, bitte nicht berühren, in Hülle stecken,  85er Filter suchen, rein in den Filterhalter, Kontrolle ob keine Abdrücke, lieber nochmals Säubern, wo ist das Tuch, 85er einschieben,  ASA Scheibe an Kamera verdrehen auf 500 ASA, dann auch gleich den Belichtungsmesser verstellen, versteht sich auf 320.

Was passiert jetzt eigentlich? 

Regisseur entschlossen: Er sitzt da und hobelt!

Soll er ins Bild kommen? Hektisches Schauen durch den Sucher. Da fehlt noch Licht, wie kriege ich es dahin, Aufbau eines Reflektors, dort unten stört ein Faß, die Zigaretten müssen aus dem Bild, wo holt er das Holz eigentlich her?

Regisseur: Du, der Mann mit dem Pferd ist da, können wir nicht schnell außen noch einen Schuß machen?

 

Filmmontage

Meine schönsten Bilder verrosten im Keller, sprichwörtlich, entweder schrumpft der Träger, oder das Eisenoxid bröselt aus der Klebeschicht, und das alles ungesehen, denn der Cutter schaut das Material nicht mehr an; das muß der Autor mit dem Pauschalvertrag sichten, und was seiner Aufmerksamkeit entgeht oder seinem Gedächtnis entschwindet, das ist unwiderruflich verloren, sicherer als der Absturz oder Totalverlust einer Festplatte. Der Cutter ist nur mehr der Maschinensteuerer, weder Ideengeber noch Erster-Zuschauer noch Partner des Regisseurs und von Montage kann man nicht mehr sprechen, wenn der Monteur das Material nicht kennt. Junge Autoren empfinden das aber gar nicht als Mangel und glauben beseelt von All-Machts-Phantasien an ihren unfehlbaren Blick und das eigene Nichtvergessen, obwohl schon längst vergessen scheint, was Filmmontage einmal war.

 

Film - Video

Seit es die ersten Porta-Packs von Sony gab, tobt der Streit um Film und Video und ich kann mich noch sehr gut an Diskussionen von 1977 erinnern, wo es schon um Film und Videolook ging. Damals waren Videoproduzenten aus den USA angereist, um am Institut für Kommunikationswissenschaften die Vorteile  ihrer Technik zu demonstrieren. Allen Diskussionen zum Trotz, unberücksichtigt der unzähligen Aufzählungen von Vor- und Nachteilen ist der Produktionsalltag dem Weg des Geldes gefolgt.  Wer sich dem Geld in den Weg stellt, wird niedergewalzt oder in Nischen gedrängt.

Die Demokratisierung des Mediums Fernsehen, wie sich es in den 70ern die Videobewegung erhofft hat, ist durch die kleinen überall verfügbaren Kameras nicht eingetreten. In der Masse der Handycams ist der politische Anspruch untergegangen. Einem Anachronismus folgend, sind viele Videoverfechter von damals wieder beim Film gelandet und stemmen sich wider dem Strom.

 

Fragen

Der Mann hinter der Kamera ist immer der erste Ansprechpartner, weil unter den Umstehenden nicht so leicht ein Verantwortlicher auszumachen ist. Der Kameramann ist als Medienpädagoge  - drei Jahre als Angestellter auf einer Planstelle des Kultusministeriums haben mir den nötigen Gleichmut gelehrt - immer bereit die Fragen zu beantworten. Bleibe höflich, sag ich mir immer, denn mehr als einmal war der alte interessierte Mann, der sich neben der Kamera anwanzte, der Chef vom Unternehmen. Eine Frage aber treibt mich immer zum Wahnsinn: WANNKOMMTENDAS????

 

Fragen II

Es gibt keine dummen Fragen, es gibt nur dumme Antworten?,  hat irgendwann einmal ein amerikanischer Journalist richtig bemerkt.

Neulich habe ich für einen Joghurt Fabrikanten ein sogenanntes In-House Video gedreht, eine lustige Meinungsumfrage zum neuen Produkt. Die gewünschten Antworten waren: locker, luftig, cremig, flauschig, (wie schmeckt das), wahnsinnig, affengeil .... (Was ist das für ein Gefühl?) öfters, immer zum Frühstück, zweimal Täglich, an Weihnachten ... (Wie oft soll man es essen?), 2,60DM 1,80DM, 50 000 DM (Was würden sie dafür geben?). Damit die Antworten von den Passanten besonders lustig ausfielen, waren die Fragen natürlich ganz andere: "Wie fühlt sich eine Wolke an?" "Was kostet ein Liter Milch?" Wen lieben sie?" "Wie war das mit der ersten Liebe?" "Was ist ihr Traumurlaubsziel?" "Mögen sie Schokolade?" "Was ist am 24.Dezember?" Das seltsame bei diesen Gesprächen, die alle nur dem Zweck dienten, die entsprechenden Stichworte aus dem Zusammenhang zu erhaschen, war der psychische Abgrund, der sich hinter den Antworten offenbarte. Bei keinem ernst anglegten Interview haben sich die Menschen vor der Kamera in kurzer Zeit so entblättert, wie innerhalb dieser 10 Minuten auf völlig schwachsinnige Fragen hin. Da war die Mutter mit Kinderwagen, nicht verheiratet, die uns die schwierige Situation der Alleinerziehenden vermittelte und den Wunsch nach einer großen Liebe durchblicken ließ, da gab es den alten Mann, mit zwei Kindern als seine Angehörigen, der an Weihnachten und Ostern allein ist, die Rentnerin, die ihr Leben lang die Familie versorgt hat und es sich immer noch nicht gönnt, einmal auszuschlafen, die attraktive Single Frau, weltoffen und redegewand, die dennoch unter der Einsamkeit leidet, der weltoffene Gentlemen, der gerne mal eine Flasche Sekt mit seiner Frau trinkt aber den Hund liebt.

Zwischen flockig und affengeil haben sich mir an diesem Tag menschliche Alltagsdramen in einer besonderen bisdahin unbekannten Intensität vermittelt; der Abgrund ist immer und überall.

 

Formate

Ich bin alt geworden, gemessen an den Videoformaten, mit denen ich zu tun hatte, uralt. Da war zunächst das Quadruplex 2 Zoll, davon liegt immer noch ein Band mit einem Film im Keller. Dann 1/2" Japan Standart 1, 1/4" Akai, 1/2" Cartrige, 1/4" Akai Farbe, 1/4 Zoll CVC Bauer, 1 Zoll IVC, VCR, 3/4 Zoll U-matic, VHS, Betamax, Video 2000, 3/4 Zoll U-matic High Band, 1 Zoll A, 1 Zoll C, 1 Zoll BNC, M-Format, 3/4 Zoll U-matic SP,1/4 Lineplex, Betacam, 8mm, Hi8, Betacam-SP, M-II,  Digial Betacam, 1/4" DV die Studioformate D1, D2, D3,D5 und DCT und jetzt Betacam SX, DVCPro und DVCAM. War das alles nötig?

Inzwischen redet man auch von Sendeformaten als wenn sich Inhalte in Maße pressen ließen, wie eine Din A4 Seite in einem C4 Umschlag. Fernsehen, wie bis du verkommen!

 

Fotos

Die einfachsten Dinge sind oft die Schwierigsten. Kein Dokumentarfilm ohne historische Fotos. Du, da nehmen wir mal schnell noch die paar Bilder auf! Auf der Autoscheibe mit Bostik festgeklebt (weil man dann kein Licht braucht - geht doch schneller) reflektiert das Glanzpapier den verdammten Himmel. Schnell ein paar Stative hochgezogen, Mollton drüber, Sandsäcke drauf. Dann reicht wieder die Brennweite nicht, um den kleinsten gewünschten Ausschnitt hinzubekommen. Schließlich ziehe ich die Optik aus der Fassung und klebe sie mit Lassoband und Zwischenpolster einfach auf die Stützbrücke. Wenn jetzt der Wind nicht wäre, dann wäre ja alles o.k.

 

Fussel und Kratzer

Gemessen an den Sendezeiten hatte ich bei meinen Filmen wahrscheinlich weit weniger Fussel und Kratzer als Signalstörungen im Videobild. Erst neulich ereilte mich wieder das Schicksal -  (Jedesmal frage ich mich, wieso eigentlich immer ich?) - als eine Feder des Kassettenauswurfschachts durch Materialermüdung abbrach und ins Laufwerksinnere fiel. Gott sei Dank hat sie nicht die Kopftrommel zerstört sondern kam unter dem CTL Kopf zu liegen und löschte durch einen Kurzschluß das CTL Signal weg, besonders schön, wenn man bei einer Theateraufzeichnung von vier Kameras die wichtigste für den Bildschnitt führt. Der Fehler ließ sich beheben, aber einmal mehr habe ich diese Technik verflucht.

 

Gedreht

Jeder hat seine Art, die Welt einzuteilen und sich anzueignen. Ich war einmal mit einem Kollegen durch deutsche Lande unterwegs und zu jedem und allem hatte er etwas zu sagen, schließlich hatte er einmal dort oder über das gedreht. Da hab ich mal gedreht, war das Resümee einer jeden Teil-Konversation.

Als wir dann bei einem Gasthaus vorbeikamen, daß ich zufällig kannte, und mich zu der Bemerkung hinreißen ließ, daß man dort ganz gut essen könne, wurde es sofort quittiert mit der Frage: Hast du da einmal gedreht?

Nein, da war ich ganz privat.

 

Geld

Wem gehört die Realität? Diese Frage stellt sich heute mehr denn je. 30 Sekunde Orchesterprobe Münchner Philharmoniker kosten 3000 (in Worten: drei Tausend) Mark, 1000 für den Orchestersaal, 1000 fürs Orchester, 1000 für den Dirigenten. Warum bekommen die eigentlich Subventionen?

 

Gesamtkunstwerk

Für den Kameramann sind die Zeiten endgültig vorbei, in denen ein Film ein Gesamtkunstwerk war. Von der Bild-Verantwortung für das Werk ist er längst enthoben. Heute werden hemmungslos Bilder in Filme eingeschnitten, die der Regisseur selbst nebenher, bei der Recherche oder von den Protagonisten hat anfertigen lassen. Das ist weder Konzept noch besprochen, sondern passiert einfach sillschweigend und Honorare sind nur mehr Schmerzensgeld für handwerkliche Verunglimpfung. Früher hat es mich geärgert, wenn Kollegen für vielleicht 1% Anteil am Werk gleich prominent im Abspann standen. Heute muß man fast darauf bestehen, dass bei den Credits unter dem eigenen Namen  zumindest ein u.a. steht, dass dann für den visuellen Müll verantwortlich ist.

 

Glück

Alle streben sie nach dem individuellen Glück, diejenigen, die in den letzten Jahren vor meiner Kamera geredet haben. Wann stellt es sich denn bei mir ein? Manchmal gibt es solche Situationen. Wenn ich unter einer Eisenbahnbrücke durchfahre, und in diesem Augenblick kommt gerade ein Zug, dann ist der Tag einfach gelaufen, dann bedarf es keines besonderen Erlebnisses mehr.

Glücksfälle gibt es beim Dokumentarfilm immer wieder. Als beim Münchner Flughafenbau der Besucherhügel gestaltet wurde, sah ich einen Mann mit Hund auf der Seite den Hügel erklimmen. Ich habe die Kamera auf den oberen Teil eingerichtet, um Mann und Hund als Silhouette ins Bild marschieren zu lassen. Und genau als die beiden im Bild waren, tauchte hinter dem Hügel eine gigantische Baggerschaufel auf und ließ Erde auf den Hügel fallen.

Am Schwarzen Meer sah ich einen Storch auf einem Telefonmast sitzen. Es begann zu dämmern und der Mond ging schon auf. Ich habe mit langer Brennweite den Storch genau in die Laufbahn des Mondes gesetzt und als er ganz im Rund als Silhouette zu sehen war, legte er den Schnabel zurück und fing an zu klappern. So etwas passiert kein zweites Mal.

 

Gute Bilder

Auf der Suche nach den guten Bildern! Wann ist ein Bild ein gutes Bild? Diese Frage kann ich in der Projektion oder am Monitor beim Sichten der Muster sofort sicher beantworten. In der Drehsituation angesichts der Realität ist das nicht mehr ganz so einfach. Es fehlt mir da die nötige Distanz, sowohl räumlich wie zeitlich. In vielen Situationen wäre es gut, wenn ich neben mir stehen und mir unbefangen bei der Arbeit zuschauen könnte.

Ich denke immer wieder über eine Methode nach, die mir hilft, die Sicherheit des Betrachters in die Hektik der Drehsituation zu übertragen.

 

Gutmenschen

Die Gutmenschen sind immer mehr an der Zahl und sie haben den Film entdeckt, um Gutmenschen sein zu können: Filme gegen Hunger, gegen AIDs, gegen Rechts, gegen Gewalt. Das Gute verkauft sich wie jedes andere Produkt nur ohne Geld. Ich könnte die ganze Zeit nur für sie arbeiten.

 

Handycam I

Die Handycam ist mir seit langem die liebste Kamera für die Dokumentarfilmarbeit, einmal abgesehen von der Bildqualität. Sie ist klein unauffällig, läßt sich einfach vors Auge halten und bietet dem Kameramann mehr als jedes andere Gerät den freien Blick nach links und rechts. Schwenken mit der Handycam ist ein Vergnügen, weil vor allem alles was rechts von der Kamera passiert im wahrsten Sinne des Wortes vorhersehbar ist. Den Dünkel des Unprofessionellen habe ich mir längst abgeschminkt und Kollegen die große Apparate um ihrer selbst willen herumschleppen und zeigen, haben etwas anderes vor. Als Amateur wird man nicht nur weniger belästigt, es filmt sich auch viel ungenierter.

Leider sind da immer noch die reduzierte Qualität der Bildverarbeitung und Aufzeichnung und die schlechten Bedienelemente, die die Einsatzmöglichkeit der kleinen Kamera erheblich einschränkt.

 

Handycam II

Die digitale Handycam entwickelt sich zu einem Fluch, weil sie wie so vieles Gerät vor ihr, dem Kapital den Weg zu effektiverer Gewinnmaximierung ebnet und nicht als das begriffen wird, was es ist: Ein Filmgerät mit spezifischen Möglichkeiten.

Inzwischen hat auch der letzte Depp kapiert, daß kleine Videoformate sendefähig sind, und weil jeder sparen will, wird jetzt hemmungslos mit Amateurgerät gefilmt. Weil ja alles so einfach ist, braucht es auch gar kein Licht mehr und die Kamera steht beim Interview auf einem Stativ, dem niemand seinen Fotoapparat anvertrauen würde und mit dem Schwenken zum Abenteuer wird.

 

Hilfe

Was wären wir ohne die hilfreichen Hände, die immer nach einem erfolgreichen Dreh das Zusammenpacken beschleunigen wollen. Redakteure und Interviewte mutieren plötzlich zu Assistenten, schieben Lampenstative zusammen und wickeln Kabel auf, daß mir die Haare zu Berge stehen. Unser ambulantes Gewerbe lebt nun einmal von der Ordnung, und was nicht drehfertig zusammengepackt wird, verursacht bei nächster Gelegenheit immense Probleme. Hände weg, von Sachen die ihr nicht begreift, möchte ich ihnen jedes Mal zurufen und bin froh, wenn ich sie anderswie aus der Situation hinauskomplimentieren kann, denn der Schaden den die hilfreichen Hände anrichteten ist immer größer gewesen als ihr Nutzen.

 

Holz

Holz ist ein schöner Werkstoff, doch alles in Grenzen. Nichts fürchte ich mehr als holzgetäfelte Zimmer, die Unsitte, mit Nut- und Federbrettern Hintergründe zu verschandeln. Was man in Realität durch selektive Wahrnehmung vielleicht noch ausblenden kann, kommt im Film immer als widerliches kack-braun, dem man nur durch den massiven Einsatz von Licht entfliehen kann.

 

ICE

Mit meinem Sohn gehe ich oft ICEs anschauen. Kinder interessieren sich nun mal für Züge. Was hat uns der ICE gebracht? Er ist ein schwerer Rückschlag für die Filmsprache und raubt uns schützenswertes Kulturgut. Haben sie mal in letzter Zeit jemanden zum Zug gebracht? Die Verabschiedungsmöglichkeiten des ICE Zuges sind ein Armutszeugnis zwischenmenschlicher Kommunikation. Kein Fenster mehr, daß man herablassen kann, keine Menschen, die sich herausbeugen und winken bis der Zug in der Totalen verschwindet. Man steht sich in Spiegelglasscheiben gegenüber und der zurückbleibende sieht nur sich selbst, tritt mit schattenspendender Hand dicht ans Glas, um Innen irgendwas zu erkennen, von dem er vermutet, es sei die zu verabschiedende Bezugsperson. Unbeholfen winkt er ins Nichts und ist froh, wenn der Zug endlich entgleitet. Die Zahl der Menschen am Bahnsteig nimmt angesichts der Frustration stetig ab. Oft stehe ich allein da mit meinem Sohn und starre den roten Lichtern nach.

 

Konzept

Es scheint besonders schwierig, die Kameraarbeit einem Filmkonzept unterzuordnen. Entweder weiß man gar nicht was man will und macht es so wie immer (ist ja sowieso kaum Zeit zum Überlegen) oder man schwelgt in Überlegungen, die letztlich nichts mit dem Inhalt zu tun haben. Oft wird auch bloßer Formalkram zur Methode. Es ist selten, daß Inhalt und Fotografie sich gegenseitig bestärken. Erst neulich habe ich wieder einen deutschen Film gesehen, den ein bekannter Kollege mit seiner Art regelrecht exekutiert hat. Bei einem meiner letzten Filme habe ich die Muster gehaßt und mich wochenlang schlecht gefühlt. Den Film habe ich dann doch gemocht und lieb gewonnen, weil es in der Fotografie eine Konsequenz gibt, die zwar nicht bewußt herbeigeführt - aber aus dem unbewußten Empfinden entstanden ist.

 

Lehrsatz des guten Tons:

Die Qualität des Japaners ist umgekehrt proportional zur Motivation des Tonmannes.

Erst ist der Japaner (Aufsteckkameramikrofon) furchtbar schlecht, eigentlich überhaupt nicht zu verwenden. Schreitet der Tag voran und treten die ersten Ermüdungserscheinungen beim Tonmann auf, heißt es plötzlich: „Da genügt der Japaner!“ 

 

Licht

Eigentlich braucht man ja gar kein Licht mehr, jetzt wo die neuen Filmmaterialien und CCD-Bildwandler so empfindlich geworden sind; so geht jeden Falls eine weitverbreitete Meinung um. Und weil es ja auch so funktioniert, wird der Pfusch sogar von oben befohlen. Ich komme selten ohne Zusatzlicht aus, auch draußen nicht. Von der Ausrüstung nimmt das Licht auch bei Dokumentationen immer den größten Teil ein und dabei muß ich mich schon sehr beschränken.

Im Deutschen Kino sehe ich immer wieder die Bemühungen von Kollegen, Szenen auszuleuchten. Sie schaffen - dank der Technik - eine künstliche Welt der bunten Lichter, Kanten und Effekte. Wie erfrischend sind da amerikanische Produktionen, die so ganz normal daherkommen und mich am Kinoausgang fragen lassen, gab es da überhaupt Zusatzlicht und wieso habe ich die Arbeit des Kameramanns gar nicht bemerkt?

 

Low Budget

Ich liebe den Satz: "Dies ist eine Low Budget Produktion", denn damit beginnt meist das ganze Übel der Beteiligung. Bei Low Budget Produktionen wird man regelmäßig am Risiko beteiligt; ist das Budget normal oder überhöht, ist von Beteiligung gar keine Rede mehr.

Low Budget Produzenten setzen nicht nur die Tarife außer Kraft, sondern auch alle anderen, das Zusammenarbeiten regelnden Grundsätze. Das beginnt bei den Mannschaftsunterkünften und endet beim Fremdwort 'Überstunden', die selbstverständlich in Anspruch genommen werden und mit genau der gleichen Selbstverständlichkeit nicht honoriert werden sollen.

 

Lowell

Nicht ohne meinen Lowell Koffer, so wollte ich meinen ersten Roman überschreiben, aber eigentlich ist das nur unter Kollegen ein abendfüllendes Thema. Die erste Begegnung war - wie das so ist, wenn sich daran eine spätere nachhaltige Liebe entzündet - enttäuschend und von dem Ausspruch geprägt, Was soll ich mit dem Spielzeug?. Inzwischen habe ich alle Vorzüge des Spielzeuges zu schätzen gelernt und kann nicht mehr ohne. Jedes Mal wenn ich gezwungen bin, auf irgendwelche Lichtkoffer zurückzugreifen, wird der Vorteil des ausgeklügelten Lowell-Systems erst richtig bewußt. Allein der Spacebar hat sehr oft eine Situation gerettet und geholfen, die Scheinwerfer ohne Stativ an einem Mauervorsprung oder Türrahmen zu befestigen.

 

Medienvielfalt

Vielfalt - das war einmal ganz anders gemeint, eher eine Frage der Qualität. Die Vielfalt, die wir heute haben, ist eher eine Häufung und Inflation. Statt eines Objektives lichten jetzt zwanzig das gleiche unwichtige Ereignis ab und der Wirkungsgrad ist um ein vielfaches gesunken; kuckt doch wieder kein Schwein.

Da wo ein Objektiv ist, ist in der Regel ein zweites überflüssig. Wenn ich da zwischen vielen Kollegen eingekeilt mit der Kamera stehe, dann gehört das zum Thema oder etwas stimmt nicht.

 

Mitfilmer

Inzwischen sind Drehreisen wie Volkshochschul Exkursionen und alles was im Team noch Hände frei hat, wird mehr oder weniger freiwillig genötigt, eine Kamera zu halten. Diese Mitfilmer sind nicht nur lästig, weil immer irgendwie im Bild, ihre Bildversuche werden dann auch noch hemmungslos mit eingeschnitten, ohne Rücksicht auf Verluste. Und es ist eine nicht zu leugnende Tatsache, dass der Schlechteste die anderen auf sein Niveau herabzieht.

 

Mobiltelefon

Kein Filmset mehr ohne Mobiltelefon. Wer nicht in ein Walkie redet, der spricht mit seinem Mobiltelefon. Zwischendurch wird gedreht. Aber das ist nicht so wesentlich.

Für die Filmsprache und den Geldbeutel des Produzenten bieten das Mobiltelefon und das Walkie universelle Möglichkeiten der Verkürzung beziehungsweise der Einsparungen. Man telefoniert, wo man geht und steht. Es gibt keine lästigen Schuß- und Gegenschuß-Einstellungen mehr. Es genügt wahllos Telefonierende hintereinander zu schneiden, um einen erzählten Inhalt an den Mann zu bringen. Auch das Walkie ist jeder Zeit zu Hand, und wenn es zu teuer ist, ein Auto oder Haus zu sprengen oder abzubrennen, dann reicht der Walkie bewehrte Darsteller, um das Ereignis ins Gerät zu erzählen. Was dem Theater die Mauerschau, ist dem Film das Handy oder Walkie.

 

Na dann Tschüss!

Ich bekomme am Wochenende einen Anruf, kannst Du nächsten Donnerstag, Freitag und Samstag für uns drehen. Ich sage zu. Dann kommt am Dienstag ein Anruf, jetzt sei das Wetter am Donnerstag schlecht, man müsse den Dreh um einen Tag nach hinten verschieben, auf Freitag bis Sonntag. Ichhabe, sage ich , am Sonntag aber schon einen Drehtermin. „Ja dann schüss“ und schon ist der Hörer eingehängt, bevor ich überhaupt etwas sagen kann.

 

Netten Menschen

Es gibt sie noch, die netten Menschen. Sie sind sehr aufmerksam. Sie merken zum Beispiel, daß da eine Fernsehkamera steht, daß da auch ein paar Menschen bei der Arbeit sind und sich verzweifelt bemühen, eine Szene abzudrehen. Die netten Menschen bleiben dann nicht gerade vor der Kamera stehen, um ihren lieben Anverwandten, Frauen, Kindern oder sonstigem Anhang etwas zu zeigen, was die Kamera gerade für andere aufnehmen soll.

Der nette Mensch ist medienversiert, schließlich schaut auch er die durchschnittlichen 4 Stunden fern pro Tag. Sieht der nette Mensch eine Kamera, so bückt er sich und kriecht am unteren Bildrand durch die Szene. Ich danke hier an dieser Stelle auch im Namen aller Kollegen dem anonymen netten Menschen.

 

Niederschwenken

Man mag die Österreicher lieben oder nicht, ihr Dialekt hat manchmal etwas ausgesprochen direktes. Herr Lusznat, so vernahm ich es eines Tages in eben jenem Dialekt auf meinem Anrufbeantworter, könnten sie für uns ein Fußballspiel niederschwenken? Ich konnte nicht. Aber einmal habe ich es doch gemacht und dann auch ganz schnell verstanden, was das Wesen des Fußballs ausmacht. Wenn er schießt, bleib mit der Kamera stehen, denn sonst können sie schlecht schneiden. Was soll man noch dazu sagen?

 

Pressefreiheit

Vor dem europäischen Patentamt wirft sich ein uniformierter Hausmeister vor das Objektiv, weil das Ablichten eines öffentlich sich drehenden Kunstwerkes von der Straßenseite aus nicht erlaubt sei. Vor dem Innenministerium bauen sich zwei unfähige Jungpolizisten (die Einstellung ist schon auf Band) vor der Kamera auf, weil das Filmen aus Sicherheitsgründen nicht gestattet sei, derweil wenige Meter weiter als unauffällige Touristen getarnte Menschen mit der Handycam das Gebäude ablutschen.

Die Übergriffe von den Verunsicherungskräften mehren sich Zunehmens. Wer schon bei Äußerlichkeiten so reagiert, was hat der erst intern zu vertuschen?

 

Rohstoffe

Hin und wieder packt mich eine Idee und ich denke, das ist eine Geschichte, die zu erzählen sich lohnt. Wenn der Augenblick der Ernüchterung folgt, dann zerrinnt das eben noch Geniale in bereits bekannte Fragmente und die Geschichte zerlegt sich in Handlungsstränge und Konstellationen, die nur Zitate aus dem reichhaltigen Repertoire des bereits Erzählten sind.

Auch der Erzähl-Rohstoff wird knapp und wir müssen mit ihm haushalten, will die nächste Generation auch noch etwas davon haben. Sehen wir es doch mal so herum. Waren Chaplin oder Hitchcock jetzt die großen Genies oder nur Verschwender, die rücksichtslos mit dramaturgischen Kniffen und treffenden Bildern um sich warfen und die Nachfolgenden eigener Profilierungsmöglicheiten beraubten?

 

Schwarz-Weiß

Das Einfache ist schwer genug. Bei Farbnegativ habe ich nie Schwierigkeiten mit dem Kopierwerk gehabt. Beim simplen Schwarz/Weiß Material dagegen, jagte eine Panne die Nächste. Vier Kopierwerke waren eigentlich nicht in der Lage, Kodak Material richtig fehlerfrei zu entwickeln. Wenn man dann über einen längeren Zeitraum hinweg anliefert, kann man mit dem Gamma sein blaues Wunder erleben.

 

Schwenken  I

Der Schwenk, den ich am meisten mag, ist aus Langeweile entstanden. Wir saßen bei den Dreharbeiten zu einem Portrait über den Regisseur Sönke Wortmann in seinem Büro bei der Constantin Film und warteten. Da habe ich aus besagter Langeweile einen Schwenk über die Pinwand gemacht, nicht ohne vorher eine viertel Stunde zu überlegen, wie ich mir mit großer Brennweite einen Weg durch den Haufen von Zetteln, Postkarten und Fotos bahne. Die Einstellung ist gut zweieinhalb Minuten lang und erzählt einen Teil von Wortmanns Lebensgeschichte. Wolfgang Ettlich hat den Schwenk als Anfangseinstellung in voller Länge in den Film genommen; ich kann ihm dafür nur danken, weil dazu viel Mut gehört.

 

Schwenken II

Schwenken beim Dokumentarfilm ist oft ein Glücksspiel und immer wieder gibt es Situationen, in denen man gewinnen oder verlieren kann. Über die Jahre hinweg habe ich eine gewisse Sensibilität für Körpersprache und Verhaltensweisen entwickelt, die einiges von dem vorausahnen läßt, was im zwischenmenschlichen Umgang bevorsteht. In Gesprächsrunden gibt es immer wieder das Problem, vom Sprechenden auf den nächsten ohne Suchen einen guten Übergang zu schaffen und oft ahne ich schon, wer auf die Rede des einen antworten wird. Schaffe ich es dann, vom Sprechenden weg über die Sitzrunde zu einer anderen Person zu schwenken, die dann genau in dem Augenblick das Wort ergreift, wenn das Bild steht, dann ist das einer dieser Glücksmomente, wo ich gewonnen habe. Viel öfters hat man es mit Interviewpartnern zu tun, die abrupt ihre Sitzposition ändern und aus dem Bild wegtauchen. Bleibt man mit der Einstellung stehen und sie kommen wieder zurück, dann hat man gewonnen, bleiben sie in der neuen Position und man korregiert zu spät, dann hat man verloren.

 

Skrupel

Am Anfang hatte ich immer Skrupel gegenüber den Menschen, die in unseren Filmen vorkommen, wenn die Gefahr bestand, daß man sie mit dem Film, salopp ausgedrückt in die Pfanne hauen würde. Inzwischen glaube ich,, daß man das kaum kann, wenn man sie denn nicht heimtückisch verfälscht. Als Peter Heller seinen Film "Der Pornojäger" im Kino vorstellte, hatte ich ein entsprechendes Schlüsselerlebnis. Im Film wird der Kampf eines selbsternannten Saubermannes gegen einen Pornoverleger dokumentiert und Heller hat die Aktionen und Aussagen beider  Seiten zu einer amüsanten Realsatire montiert. Das Premierenpublikum hatte viel zu lachen und als dann nach der Vorstellung die beiden Parteien, also die Saubermänner und der Pornoverleger nach vorne kamen, gab es eine Überraschung. Beide Seiten fanden den Film ausgesprochen gut, weil er genau ihre Sicht repräsentierte. Nun kannte auch jeder die Sicht des anderen. Da waren Skrupel wirklich nicht angebracht.

Als äußerst unangenehm habe ich dagegen eine Einstellung empfunden, die in einem Film über sexuelle Übergriffe gegen Frauen eingeschnitten wurde. Eine allgemeine Ausführung über die Täter wurde mit einer Rolltreppe bebildert, die Männer frontal ins Blickfeld des Zuschauers baggerte, aber eben nicht unbedingt diese Täter, von denen die Rede war.

 

Technik

Man schreibt über das, wovon man nichts versteht, sagen böse Zeitgenossen. Von der Technik habe ich bis heute noch nicht viel begriffen, und wenn es mir ganz schlecht geht, denke ich, daß all diese Apparate gegen mich sind. Dabei habe ich ein fast immer persönliches Verhältnis zur Kamera gehabt, fast wie bei einem Kind, wo Papa (umgeben von einer Welt voll Krankheiten) aufmerksam auf jede kleinste Veränderung achtet. Das Laufwerk klackt beim Rückspulen, der Greifer macht ungewöhnliche Geräusche, der Objektivring wackelt plötzlich. Dann trage ich das Baby zum Servicetechniker und rutsche neben der Werkbank unruhig hin und her, während die Diagnose gestellt wird.

Mit den Jahren wird man zum Experten in Sachen Kinderkrankheiten und gelegentlich stehe ich mit Kollegen herum, und jeder weiß von noch einer schlimmeren Seuche zu berichten.

Neulich hat es mich mal wieder ganz schlimm erwischt, natürlich in der Wüste weit ab von jeder Hilfe. Erst hat eine Kamera ganz grausame Bandzugprobleme, dann auch noch die Ersatzkamera. Da waren es vermutlich die (neuen) Bänder. Die zuständigen Experten zucken noch immer mit den Schultern.

 

Timing

Die Frau kommt mit zwei Wassereimern von der Quelle unter den Bäumen hervor und folgt dem nach links ansteigenden Weg. Die Kamera schwenkt über eine primitive aus Stangen errichtete, oben zum Schutz gegen die Sonne mit frisch geschnittenen Ästen gedeckte Veranda, erfasst eine einfache aus groben Brettern zusammengenagelte Hütte und bleibt bei einer Bank stehen, auf der der Schäfer sitzt und seine Flöte spielt, neben ihm sein Enkel, der dem Großvater andächtig zuhört. Die Kamera nimmt ihre Bewegung wieder auf, streift über blankgeschälte sich weit verzweigende Äste, die als Halterung für allerlei Töpfe und Küchengerät dienen und erreicht einen weiterentfernten Verschlag, aus groben Stangenholz zusammengenagelt, dessen Tür gerade von einem Jungen geöffnet wird. 10 Schweine stürzen hervor, rennen in Schwenkrichtung nach rechts und entfernen sich aus dem Bild, während die Kamera eine Herde von 600 Schafen erfasst, die sich gerade erheben und von Hunden getrieben in Bewegung setzen.

Eine halbe Stunde Vorbereitungszeit, so schön kann Dokumentarfilm sein.

 

Tonleute

Mit Vorliebe bauen sich die Tonleute mit ihren Geräten dort auf, wo die Szene spielt, mit dem sicheren Instinkt dafür, wie man einen Ablauf erschweren kann. Da werden Kabel verlegt und angeschlossen, wenn noch nicht einmal sicher ist, wo die Kamera steht. Im entscheidenden Augenblick - darauf kann man warten, wie auf das Amen in der Kirche  -  fehlt es dann aber an einer Nebensächlichkeit.

Es gibt Tonkollegen, die möchten die Nähe zum Kameramann nicht missen und tummeln sich bevorzugt auf der linken Seite der Kamera, vielleicht nur um dem Kameramann hin und wieder ihr Spiralkabel in die Kniekehlen hauen zu können.

 

Ãœberraschung!

Ich sitze gerade auf der Toilette, nein, nicht nur weil mir da die besten Ideen kommen, sondern weil ich gerade einmal muß. Da wird die Tür aufgerissen, Licht flammt auf, Kameralinsen beißen sich an meinem Gesicht fest, Linda, Tommy, Rudi, Fritz breiten die Arme aus:

Du wolltest doch schon immer mal mit einem Catarpiller fahren!!

Ja?, stammele ich, daß war ein geheimer Wunsch, jetzt aber...

Da kracht schon die Wand, eine Schaufel bohrt sich ins Zimmer, die Decke hebt ab, das Gerät schwenkt unter Staubwolken zur Seite, der rote Teppich rollt herunter; Steigen sie ein! Ich muß erst mal die Hose hoch ziehen! Wo sind denn die Kameras? Dort in der Toilettenpapierrolle! Hier im Zahnputzbecher! Die rudernden Arme von Linda, Tommy, Rudi, Fritz, wirbeln mich in Richtung Teppich; die grinsenden Zähne drohend gefletscht. Jetzt will ich nicht mehr: Ihr habt mir meinen Wunsch gestohlen. Niemand hört mich an, ich werde in Richtung Planierraupe gestoßen. Wenn Du nicht mitmachst, machen wir dich platt.. und da sind sie auch schon, die Freunde, winken, wie sie überall winken, wenn Kameralinsen in der Nähe sind. Ich werde Euch alle Plattwalzen, greife nach dem Steuerknüppel, trete mit mörderischem Vorsatz voll in die Pedale... AUSSSS!!!!- das war gut, die Nummer ist gelaufen, schreit einer. Ein Sektkorken knallt, Gläser werden gereicht, Linda, Tommy, Rudi, Fritz prosten in Fotoapparate von Reportern, Licht erlischt, viele Leute laufen herum, jemand zieht mich auf die Seite, bitte unterschreiben sie hier, hier und noch mal hier, sie sind dann am 15. in der Sendung, bitte drei Stunden vorher im Studio erscheinen.

 

Umweltverschmutzung

Wie sehr die visuelle Umweltverschmutzung vorangeschritten ist, merken in ihrer ganzen Konsequenz nur Kameraleute und Fotografen, die ein bereinigtes Abbild der Gesellschaft zu verfertigen haben. Aus diesen vielen gesäuberten und geschönten Bildern baut sich die Gesellschaft ihre mediale Identität zusammen. Dieser Prozeß funktioniert im Kopf der meisten Menschen perfekt. Ist es nicht schön hier! schreit der Regisseur und schwenkt mit dem Arm gönnerhaft durch die Landschaft. Vielleicht habe ich den falschen Blick; er hätte ja Recht, wenn man den Mülleimer, den Zaun, die Betonmauer und diese hässliche Boje aus dem See entfernen würde, die Telefonleitungen im Hintergrund sind ja akzeptabel, weil inzwischen nostalgisch.

Es gibt eine ganze Reihe von Objekten, von denen ich glaube, daß man sie nur gemacht hat, um uns zu ärgern:

Blumenkübel in Fußgängerzonen, beispielsweise. Hat da nicht ein Berliner Gärtner beim Herstellen von Blumenkübeln den Stahlbeton erfunden. Irgendwie hängen die hässlichen Dinge zusammen.

 

Und ich sag noch

Es gibt diese typischen und ich sag noch Geschichten; eine ist mir unter dem Drehen passiert. Wir sitzen auf einem Kran und mein Assistent schnallt sich am Sitz an, eine Maßnahme, die eher dem Schutz des Bühnenmannes dient, und unüberlegtes Absteigen verhindern soll, als daß sie einen vorm Herabfallen bewahrt. Und ich sag zu ihm: Wenn jetzt der Bolzen an der Parallelstange bricht, dann klappt die Plattform vor und du hängst am Sitz. Fünf Minuten später ist der Kran auseinandergebrochen und wir sind mit der Plattform abgestürzt. Der abgebrochene Sitzt baumelte ihm am Hintern. Als ich einen Kommentar abgeben wollte kam ein einfaches, Sag nichts mehr, zurück.

Eine Minute früher...es hätte Tote im Publikum gegeben und die Gesichter würden mich noch heute verfolgen.

 

Unscheinbar

Was andere allgemeinhin als Beleidigung empfinden, ist für mich eines der größten Komplimente. Wir haben sie völlig vergessen und überhaupt nicht mehr bemerkt.

 

Versteckt - bis an das Lebensende

Was tut man nicht alles in unserem Beruf. Da hockt man mit der Kamera in Autos, in Garderoben, in Abstell- und Besenkammern, in Bauernschränken und Büffets, hinter getönten Scheiben fast unsichtbar, um unwissende Zeitgenossen zu übertölpeln. Die versteckte Kamera kommt gut an und plötzlich wird wie wild für alle Kanäle das gleiche produziert. Ein paar Mal bin ich in einem Schrank oder einer Abstellkammer gesessen und war fasziniert von der Arglosigkeit bestimmter Leute, die unter dem Bombardement einer inszenieren Ereignisabfolge auch eine nicht versteckte Kamera kaum wahrgenommen hätten. Jetzt bin ich Spezialist, wie man schnell einer wird, wenn man Dinge tut, die sich gut fassen lassen. Im Schrank sitzen kann zwar jeder, und als Kameramann ist man da kaum zu überfordern, es sei denn man bekommt von dem Staub einen allergischen Anfall.

Meine Spezialisierung hat sich schnell herumgesprochen, ohne daß ich wesentlich dazu beigetragen hätte. Weil die Sendung von einer Produktionsfirma zu einer anderen wechselte, dann noch der Inhalt von einem Sender zu einem anderen, waren die Teamlisten der Spezialisten schließlich in so vielen Händen, daß ich noch heute im Schrank sitzen würde, wären da nicht die Dokumentarfilme, die mich länger in die Freiheit entführt hätten.

 

Winken

Eigentlich wollte ich promovieren, ein Kameramann mit einem Dr. würde sich doch ganz gut machen. Als Absolvent der Hamburger Hochschule für bildende Künste wäre ich der erste gewesen: Es gab keine Promotionsordnung. Letzt endlich sind alle Bemühungen vorläufig gescheitert. Themen gab es genug. Mein immer noch favorisiertes ist: Sie winken. - Eine ethnologische Studie. Der Mensch als solcher winkt, wenn er das Objektiv einer Kamera sieht, die groß genug erscheint, um für eine Fernsehsendung im Einsatz zu sein. Sie winken überall - zumindest in den Teilen der Welt, in denen ich bisher gewesen bin.

Der Winkende ist es wert, endlich einmal in den Mittelpunkt einer umfassenden philosophischen, soziologischen und ethnologischen Studio gestellt zu werden, schließlich ist er die erste bewusste internationale Erscheinung des Medienmenschen.

  • Die Bedeutung des Winkens.
  • Winken als Seinsäußerung
  • Winken als Kommunikationsform
  • Die Anonymität des Empfängers
  • Kommunikation um ihrer selbst Willen
  • Die Wirkung des Winkens unter Berücksichtigung der Chaostheorie
  • Winken als Teilaspekt der Körpersprache
  • Der technische Sachverstand des Winkenden
  • Das Live-Winken

Welch besonderen Aspekt man dem Winkenden auch abgewinnen kann, als Kameramann habe ich fast jedesmal Wutanfälle bekommen.

 

Zeitzeugen

Ich habe es nie geschafft, Unternehmer zu werden, einer von den ganz großen, Geldverdienern. Ja, wer selber arbeitet ist selber schuld. An Ideen hat es mir nie gefehlt. Auf einer langen Fahrt durch Norwegen, dort waren wir mit einem Zeitzeugen unterwegs, haben wir ein komplettes Unternehmen entwickelt: Zeitzeugen TV - Die Agentur, an der kein Fernsehsender vorbeikommt. Im Angebot hatten wir Zeitzeugen für jedes Thema, vom KZ Häftling bis zum überlebten Flugzeugabsturz. Das war genau die Bandbreite unserer Reisegruppe.

Aber dieses Geschäft lassen wir uns von keinem Anderen mehr wegschnappen. Zeitzeugen werden ab Geburt verpflichtet, schließlich ist jeder potentieller Zeitzeuge.

 

Ziel

Mit fünfundzwanzig wollte ich meinen ersten Spielfilm machen. Das ist mir nicht gelungen.

Ein Ziel habe ich nach all den Filmen der letzten Jahre immer noch vor Augen. Ich möchte einen guten Film machen und danach aufhören. Das kann Antrieb sein für die nächsten 20 Jahre.

 

Zweifel

Dreharbeiten können mich ganz schön mitnehmen. Im Schlaf schrecke ich hoch und dann bin ich plötzlich wach, total wach, mitten in der Nacht, schutzlos all den Angriffen ausgeliefert. Das wissen sie genau, und hemmungslos brechen sie hervor, und greifen erbarmungslos an, all die Zweifel an der Arbeit, blähen sich auf und lassen sich wie Vampire nur mit Knoblauch und Kreuz bekämpfen. Nach einer durchkämpften Nacht, unter den ersten Strahlen der Morgensonne zerfallen sie dann ins Nichts; die Arbeit hat mich wieder.

Film&TV Kameramann

  • Heft6/1997 Seite 110ff
  • Heft7/1997 Seite 106ff
  • Heft9/1997 Seite 125ff

 

Ó Hans Albrecht Lusznat 1997/2017