Wiederaufführung der Glockenbach Wochenschau – 40 Jahre alternative Medienarbeit

 12. Juni 2019

 

Am Mittwoch dem 26. Juni 2019 beginnt um 19.30 Uhr eine Reihe mit Wiederaufführungen der Glockenbach Wochenschauen im Bürgerhaus Glockenbach Werkstatt Blumenstrasse 7.

 

Als Gegenpol zu den privatwirtschaftlich organisierten Zeitungs-Medien und den öffentlich rechtlichen Fernseh- und Rundfunkmonopol entstehen in den 70er Jahren allerorts als sogenannte Gegenöffentlichkeit alternative Medienangebote von Bürgerinitiativen und Interessengruppen. Dabei geht es nicht darum, das Rundfunkmonopol durch ein privatwirtschaftliches Modell zu ersetzen, sondern inhaltsorientiert den freien Zugang zu Medien zu ermöglichen. Alle Bestrebungen firmieren unter dem Schlagwort Bürgerbeteiligung. Ab 1978 entstanden im Bürgerhaus Glockenbach Werkstatt München die Glockenbach Wochenschauen, 30 Minuten Videoprogramme, die mehr oder weniger regelmäßig gemeinschaftlich produziert und an festen Terminen öffentlich vorgeführt wurden.

Ungefähr 20 geschnittene Programme aus den Jahren 1978 bis 1980 sind erhalten und konnten mit Unterstützung des Bezirksausschuss 2 der Landeshauptstadt München restauriert werden und gelangen nun nach 40 Jahren zur Wiederaufführung.

 

Alternative Medienarbeit in der Glockenbachwerkstatt ab 1977

Ab Juli 1977 konnte die Initiative Glockenbachwerkstatt das Haus in der Blumenstraße 7 übernehmen und renovieren. Eine Betriebserlaubnis wurde im Herbst 1977 erteilt. Alternative Medienarbeit sollte ein wichtiger Bestandteil des Engagements sein. Seit Anfang der 70er Jahre gab es portable Videoanlagen auf einfachem Niveau, mit denen sich ohne große Materialkosten Bewegtbildfilme herstellen ließen. Die Verteilung der Inhalte an Rezipienten konnte nur über Vorführungen in Form traditioneller Wochenschauen erfolgen.

 

Aus heutiger Perspektive kaum vorstellbar war die Mediensituation 1977 eine völlig andere:

1977 gibt es zwei Fernsehanbieter ARD und ZDF, wobei die ARD aus verschiedenen Länderanstalten besteht und für München ist es der Bayerische Rundfunk der seit 1964 ein Fernsehprogramm anbietet. Das Verbreiten von Rundfunksignalen ist gesetzlich geregelt, ein Staatsmonopol und wird öffentlich rechtlich organisiert. Die Dritten Programme senden nur zu bestimmten Zeiten. 1978 starten sie dann ihre Vollprogramme.

Außerdem gibt es diverse Hörfunkprogramme bei den gleichen Rundfunkanstalten.

In München gibt es 1977 fünf Tageszeitungen:

  • Süddeutsche Zeitung,  Auflage 1976  =   300.000
  • Münchner Merkuer, Auflage 1978  =  171.000
  • Abendzeitung AZ,  Auflage 1969  =  300.000
  • Tageszeitung TZ,
  • Bildzeitung Münchner Teil.

Daneben gibt es diverse Anzeigen-Wochenblätter und Monatszeitschriften wie den Bayernkurier mit ca. 150.000 Exemplaren in den 1970er Jahren.

Es gibt kein Privatfernsehen (Start 1.1.1984), es gibt keine Mobiltelefone (praktikabel im C Netz ab 1985) und es gibt keine E-Mail (erste deutsche Mail 1984) geschweige denn Internet (für jedermann erst ab 1990).

 

Wer 1977 zu einem Themenkomplex einen eigenen Film machen will, kann abgesehen von hohen Produktions-Kosten die Distribution nur selber in Form von Kinovorstellungen organisieren. Ab Anfang der 70er Jahre gibt es weltweit eine Bewegung sozialpolitisch motivierter Bürger, die sich mit Filmen in die öffentliche Diskussion einmischen will und nach Alternativen zum bestehenden Fernsehsystem sucht. Kabelfernsehen, Bürgerbeteiligung und offener Kanal sind die Schlagworte der Diskussion. Erste Piratensender haben das Rundfunkmonopol gebrochen.

 

Technik Fernsehen:

  • 1963  wird das Pal Fernsehen mit 625 Zeilen (wirksam 576 Zeilen x 720 Punkte) s/w  eingeführt
  • 1967 beginnt in Deutschland das Farbfernsehen
  • 1969 einigen sich die japanischen Hersteller auf das Japan Standard 1 Video  (EIAJ) mit 1/2“ Bändern in offenen Rollen
  • 1976  stellt JVC das VHS System vor
  • 1979 werden 270 000 Geräte Videorekorder verkauft, 1981 = 750 000 und 1983 = 1,4 Millionen.

 

Technik Computer und Kommunikation

  • 1977 im April kommt der Apple II als erster industriell hergestellter Computer von Appel auf den Markt. Der Bildschirm kann 40×48 Pixel in 15 Farben oder 280×192 Pixel in zwei Farben darstellen
  • 1984 wird die erste deutsche Email an der Uni Karlsruhe verschickt
  • 1985 sind im C Netz erste tragbare mobile Telefone möglich

München

  • 1972 wird Georg Kronawitter SPD Bürgermeister
  • 1977 hat München 1,314 Millionen Einwohner
  • 1978 folgt Erich Kiesel CSU als Bürgermeister

Wichtige Ereignisse des Jahres 1977:

  • Schleyer Entführung
  • Landshut Befreiung in Mogadischu
  • Elvis Presley gestorben
  • Protest in Brokdorf
  • Günter Wallraff Enthüllungsbuch über die Bildzeitung: Der Aufmacher

 

Die digitalisierten Glockenbach Wochenschauen werden nach und nach auf dem Youtube Kanal Glockenbach Wochenschau veröffentlicht.

Interessante Videos zur Technik der alternativen Medienarbeit

http://www.labguysworld.com/

https://www.youtube.com/watch?v=TXiaiGkb-YI

https://vimeo.com/search?q=experimental+television+center

Alle Fotos © Hans Albrecht Lusznat

 

 

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