Anachronismus analoge Leica M

30. März 2021

Warum ich mit der analogen Leica M fotografiere? Es war die zweite Kamera, die ich Anfang der 70er Jahre gekauft habe, nachdem die Bilder einer Exakta Spiegelreflex nie wirklich scharf waren. Ich bin mit dieser Kamera groß geworden und ich arbeite zum größten Teil immer noch analog. Die analoge Fotografie ist für einen Dokumentaristen wahrhaftiger.

 

Man kann das Bild nicht so einfach manipulieren. Automatische Filter, gespeicherte LUTs und Voreinstellungen gibt es nicht. Wer ein analoges Bild digital bearbeitet, der tut das vorsätzlich und letztlich viel bewusster. Im digitalen Workflow können ganz schnell auch Dinge passieren, die man gar nicht mehr bewusst wahrnimmt, die der Kontrolle entgleiten. Wie verführerisch ist das Aufhübschen von Bildern per Klick und wie selbstverständlich wird es eingesetzt. Ich lehne Bildbearbeitung meiner analogen Fotos strikt ab. Erlaubt ist, was auch in der Dunkelkammer geht: Nachbelichten, Kontrastveränderung und Ausflecken von Staubpartikeln. Mehr nicht. Dazu Full Frame, keine Ausschnitte.

Die nächste Generation digitaler Kameras schickt sich an mit ihrer künstlichen Intelligenz in den Gestaltungsprozess des Bildes einzugreifen. Gesichter werden automatisch erkannt, Augen vergrößert, Lächeln verstärkt, Hautunreinheiten entfernt. Nicht mal unbedingt auf Knopfdruck, sondern im Hintergrund. Die Abgebildeten entsprechen nicht mehr der Wirklichkeit. Schmerzlich haben das die Angehörigen eines vermissten Mädchens erfahren, weil die Polizei ein Profilbild von Facebook für die Suche nahm, das nur mehr entfernte Ähnlichkeit mit der realen Person hatte.

Zurück zur Leica. Was kann sie besser als andere Kameras? Heute nichts mehr. Sie war mal erstaunlich leise im Vergleich mit Spiegelreflexkameras. Sie war kleiner und kompakter. Im Digitalen gibt es heute Kameras die viel mehr können, die ähnlich gross sind,  mit bis zu 10facher Empfindlichkeit, dabei völlig geräuschlos fotografieren und weniger als die Hälfte kosten. Mit dem Autofocus sind sie zudem schneller und präziser beim Schärfe finden. Immer wieder stößt man auf Bewunderer und Kenner, auf Hardware Spezialisten für Leica Technik. All dieser Bewunderung und Technikaffinität liegt ein grundlegendes Missverständnis zu Grunde: Eine Leica M könne ein gutes Bild machen. Dass sehr viele Fotografen sehr gute Bilder mit der Leica M gemacht haben führt oft zu dem Trugschluss, wenn ich mit der Leica M fotografiere, dann gibt es auch gute Bilder. Die Kamera ist keine Garantie für gute Bilder, sie kann einem mehr oder weniger helfen, diese Aufgaben zu erfüllen, mehr geht nicht.

 

Zählwerk

Die Kamera ist ein Präzisionsgerät, braucht aber auch kontinuierlich Pflege. Eine von meinen M-Modellen ist immer defekt. Mal läuft der Verschluss unregelmäßig, dann fällt der Belichtungsmesser aus, das Zeiteinstellrad verliert die Friktion oder der Motor ist plötzlich tot. Der Rückspulknopf klemmt oder der Zähler bleibt stur nach 20 Bildern stehen und rührt sich nicht mehr weiter.

Ungleichmäßig ablaufender Verschluss.

An der Kamera gibt es eine ganze Menge zu justieren. Messsucher und Objektiv müssen abgeglichen werden. Einen perfiden Schaden habe ich durch einen zu stark eingestellten Federzug des Abtastrades für die Übertragung der Enfernungseinstellung am Objektiv auf den Messsucher erfahren. Dieses Rad wird durch Federdruck an die dafür vorgesehene Kurve des Objektivs gepresst und überträgt die Entfernungseinstellung auf den Messsucher. Bei zu hoher Federkraft passiert folgendes: Kommt man aus Versehen auf den Objektiv Entriegelungsknopf, dann wird das Objektiv durch den hohen Druck des Abtastrades ein Stückchen verdreht und steckt praktisch unverriegelt in der Kamera. Es ist dann nur eine Frage der Zeit, wann es herausfällt.

Oben in der Fassung das Abtastrad für die Schärfeneinstellung des Objektivs.

Ungleichmäßig laufender Verschluss, verschieden nach eingestellter Verschlusszeit, und wahrscheinlich auch nach Umgebungstemperatur.

 

Fehler beim Transport, unregelmäßiger Bildstrich, kein erkennbares Muster.

Der letzte Fehler, er trat zwei Wochen nach dem Service wegen eines ungleichmäßig laufenden Verschlusses auf (ca.900,- €), betraf den Filmtransport. Unregelmäßig schaltete die Kamera pro Bild ein Perforationsloch mehr weiter. Ein Muster war nicht zu erkennen. Der Fehler trat vermehrt unter den ersten Aufnahmen eines Films auf. 10 bis 20 Filme später dann auch weiter hinten im Film. Der breitere Bildsteg wäre prinzipiell kein Problem (ein Loch kürzer wäre dramatisch), aber ein Scanner kann diese Sprünge nicht verarbeiten und beim Scannen entsteht ein extremer Mehraufwand. Kurz nach dem Service einer Kamera ist das wenig erfreulich.

Wer also glaubt unbedingt mit einer analoge Leica arbeiten zu müssen, sollte sich der Folgekosten bewußt sein. Die Kamera braucht Pflege und die ist alle drei bis vier Jahre fällig. Eine Kamera die über Jahrzehnte tadellos funktioniert, wenn sie regelmäßig benutzt wird, gibt es nicht.

Und wo ich schon mal dabei bin, gleich noch eine Frage: Warum braucht man ein Noctilux und warum muss es gerade dieses Objektiv sein? Das Noctilux an der Leica M ist eine Fehlentscheidung und noch nie habe ich einen Bewunderer für dieses Objektiv getroffen, der damit wirklich das machen will, was es besonders gut kann. Ich selber habe es erst einmal für eine Aufgabe eingesetzt, wo seine Stärke gefragt war, die Blende 1.0.

Dokumentarfilmer Thomas Frickel 2015, Foto aus einer Serie über Dokumentarfilmer für die Arbeitsgemeinschaft Dokumentarfilm

Ansonsten ist es zu dick, verdeckt einen großen Teil des Suchers, wiegt mit 625g wesentlich mehr und ist doch nicht besser in der Abbildung als das F1.4/50mm Summilux mit nur 350g. Wer fotografiert schon immer bei offener Blende? Für Portraits reicht die Mindestentferung von einem Meter kaum aus. Die Blende 1.0 mag zu Zeiten beschränkter Empfindlichkeit in der analogen Fotografie Sinn gemacht haben. Normale Raumbe-leuchtung reicht bei 400 ASA Film und 1/30 Sekunde oft nur für eine Blende 2, manchmal auch nicht. Dann war das Noctilux eine Erweiterung. Heute in digitalen Zeiten mit 2.000 bis 10.000 ASA längst unnötig. In Lowlight Situationen ist eine Digitalkamera unschlagbar.

 

Das Noctilux kascht gut 25% des Sucherfeldes ab, während das Summilux (unten) nur eine kleine Ecke abdeckt.

Das Noctilux ist in fast allen Fällen ein Fehlkauf, aber es ist immer das teuerste M Objektiv gewesen und vielleicht deshalb so begehrt.

Alle Fotos HA Lusznat

 

 

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