Christian Doermer und Ich

30. Juli 2022

Es war ein grauer schon dämmernder Freitag Nachmittag im November 2001, genau genommen der sechszehnte, am Steg im Hafen von Gstadt, als ich das erste Mal Christian Doermer und seiner Frau, der Schriftstellerin Laura Doermer begegnete. Die beiden „Alten“, so habe ich sie wahrgenommen - er war da 66 Jahre - schleppten Ausrüstungsteile auf den Steg, die es für die Veranstaltung der Inselfilmer auf der Fraueninsel brauchte. Wir warteten auf das Fährboot.

 

10 Filme standen auf dem Programm und Christian Doermer zeigte als vorletzter ein Fragment, ein Bruchstück, zusammengeschustert aus Teilen alter Filme, in denen er mitgespielt hatte, 25 Minuten lang unter dem Titel „Ich oder Nicht“, die Bestandsaufnahme eines Begriffs. Zunächst waren alle ratlos: das sollte ein Film sein? Alles bis dahin gezeigte hatte Titel vorne und hinten, war 10, 30, 45 oder 90 Minuten lang und eindeutig für eine Verwertung entstanden. Christians Film bestand aus Ausschnitten, in denen er selbst in diversen Spielfilmen zu sehen war und sich die Dialoge um das „Ich“ drehten. In jedem Satz kam ein Ich vor. Das war lange vor der Zeit der Selfies und Youtuber und hatte eine künstlerische und philosophische Dimension. Dieser Film ist mir als einziger klar in Erinnerung geblieben und immer wenn Christian Doermer in den folgenden Jahren bei  den Inselfilmern etwas zeigte, schwang diese avantgardistische Kreativität mit, die das enge Verwertungsgefüge der anderen Filme aufbrach und zeigte, wie man mit Unvollkommenheit Denk- und Diskussionsprozesse anstoßen kann.

Christian Doermer ist am 14.Juli 2022 im Alter von 87 Jahren gestorben.

Christan Doermer arbeitet mit dem Kollegen Martin Lüttge am Text 2006  Alle Fotos © HA Lusznat